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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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mumifizierte Katze nicht darauf schließen, dass sich im Inneren ein Restaurant befindet. Das Innere selbst lässt das auch nicht vermuten, denn der Raum ist dunkel, feucht und vermutlich die chinesische Entsprechung einer deutschen Alkoholikerwohnung. Mir ist im ersten Moment nicht klar, was der Mann eigentlich sammelt. Alles ist metallen und anscheinend mit einer Rußschicht überzogen. In einer dunklen Ecke des dunklen Raums steht ein Herd mit offener Flamme, dahinter Rob. Ein chinesischer Mann unklaren Alters, auch mit Ruß überzogen. Kim erklärt: »Rob sammeltMetallteile. Er will ein Fluggerät bauen und mit seinem Freund wegfliegen, wenn der Tsunami die Insel erreicht. Vielleicht will er auch damit tauchen. Ich hab vergessen, was genau es war. Sie müssen keine Angst haben. Rob hat etwas merkwürdige Ansichten und Hobbys, aber er ist ein guter Mensch. Und er kocht, wie ich bereits erwähnte, hervorragend.« Ich starre das Schwimm-Flug-Gerät an, das sich ausnimmt wie eine seltsame Kopie des Nemo-Ufos, das ich einst bei dem Zwerg sah.
    Rob ist unterdessen aus seiner Ecke gekommen. Ein befremdlich aussehender Mann. Lange, dünne weiße Haare sind zu einem Zopf gebunden, die Zähne schief und gelb, es könnte auch eine Frau sein, die sich als hässlicher Mann verkleidet hat. Rob nickt mir zu und spricht zu Kim. Er führt uns auf das Dach, das, frei von Eisenteilen, in seiner betonten Leere beinahe freundlich wirkt. Kim sagt: »Rob geht uns jetzt etwas kochen. Nachher lernen wir seinen Freund kennen. Ein Europäer, glaube ich.« Wir schauen das Meer an, das wie ein einschlafender Elefant unter uns liegt.
    »Wird dein Großvater dich nicht vermissen?« frage ich Kim. Über diese schwierige Frage denkt sie lange nach.
    »Ich glaube nicht. Er wird merken, dass ich nicht da bin, aber er kennt mich als ein sehr selbständiges Kind.«
    Nach einer Weile Elefantenbeobachten fragt Kim: »Sie wundern sich nicht über Rob?«
    »Ich wundere mich über nichts«, sage ich.
    »Rob ist ein wenig eigen geworden, er hatte viel Pech. Als ich klein war, hatte er ein hervorragend laufendes Restaurant. Es war das teuerste auf der Insel, und wir gingen an Festtagen bei ihm essen. Irgendwann war sein Restaurant verschwunden,und niemand sprach mehr über Rob. Jedenfalls nicht vor mir. Das merkt man recht genau, als junger Mensch, wenn Erwachsene Geheimnisse haben. Heute weiß ich, dass Rob seine Familie verlassen hat, zu irgendeiner Sekte in die Schweiz ging und dann nach längerer Zeit mit seinem Freund zurückkam und diesen Apparat zu bauen begann.« Der Wahnsinn findet einen vertrauten Anklang in meiner Erinnerung, ohne dass sich mir ein klares Ganzes offenbaren würde.
    Rob kommt nach einer Weile und bringt Schüsseln und Teller mit Gemüse, Fisch und was der Chinese sonst noch gerne an Undefinierbarem verzehrt. Er ist in der Tat ein brillanter Koch, nur hat er augenscheinlich ein psychisches Problem. Kim und ich essen schweigend, schauen dabei in den Himmel, und ich denke auf einmal, was wäre, wenn der europäische Freund von Rob der Mann wäre? Vielleicht hat er sein Gedächtnis verloren und irrt auf der Insel herum, Rob hat ihn gefunden, und nun werden sie heiraten? Nein, falsch, jetzt wird er gleich aufs Dach kommen, mit einer Schüssel in der Hand. Ich stelle mir das Bild so plastisch vor, dass ich mich kaum mehr bewegen kann vor Anstrengung. Gleich werden die Treppen knarren; egal, dass sie aus Stein sind, sie werden knarren, die Luder, und die Metalltür zum Dach wird aufgestoßen werden. Und genau das passiert, die Tür wird aufgestoßen, im schwachen Licht der Laterne vor dem Haus steht – irgendein Mann. Nicht meiner. Und ich falle schon wieder aus dem Fenster. Neunzehn Stockwerke.

Damals.
Vor drei Jahren.
    Wenn ich aufwachte, fasste ich immer als Erstes nach jener Seite des Bettes, auf welcher der Mann schlief. Falls er da schlief. Denn zwanghaft musste ich mich jeden Tag seiner Anwesenheit versichern, es galt zu überprüfen, ob er atmete und ich nicht nur geträumt hatte.
    Das erste Jahr war vergessen und die Unsicherheiten, unter denen ich gelitten hatte. Ich musste keine Angst vor dem Mann haben, und diese Entspannung war mir bei den wenigsten Menschen beschert. Ich war nicht aus dem Fleisch, aus dem Helden gemacht werden, und hatte vertrauterweise die Sorge, Erwartungen nicht zu erfüllen, andere zu erschrecken, unangenehm zu riechen, zu laut zu sein oder zu leise.
    Mir ist nicht klar, nach welchen Anforderungen

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