Der Mann schlaeft
sah das Schrottteil an und entdeckte einen Stapel seltsamer Pläne am Boden. Mir wurde sehr kalt, und ich verabschiedete mich rasch. Das war mein letzter Besuch auf der Insel, aber nicht das letzte Mal, dass ich den Zwerg sah, der wie kaum ein anderer auf dieser Welt das Prinzip Hass verkörperte.
Heute.
Fast Abend.
Ich unterlasse es, auf die Straße zu gehen, denn dort könnte ich dem Mädchen begegnen und müsste mich schämen, entschuldigen, reden. Ich kenne das aus einem früheren Leben, da ich meinte, alles wäre mir möglich, und mich in freundlichen Gesprächen mit Kioskbetreibern und Nachbarn verlor, nicht bedenkend, dass ich bis auf kurze Ausnahmen, kleinen Gehirnfunktionsstörungen gleich, nicht reden wollte oder konnte, und in Folge große Umwege in Kauf nahm, weil ich befürchtete, es würde Geselligkeit von mir erwartet. Immer diese kolossale Selbstüberschätzung.
Es gibt keinen, der etwas von mir erwarten würde, außer einem kleinen Mädchen, das vermutlich nur höflich sein will.
Das ist also von meinem Leben geblieben. Kein Erfolg, kein Geld und noch nicht mal jemand, der mir auf die Nerven gehen könnte. Ich habe vor einigen Wochen mit denen telefoniert, die ich als Freunde bezeichne, einfach weil es gewollt salopp klingt, immer von Bekannten zu reden. Sie hörten meinem Gestammel zu, den wirren Gedanken, dem Weinen, und eine große Hilflosigkeit war allen eigen. Sie gaben Ratschläge. Wie ich weiterleben sollte, sagte mir keiner.
Kommen wollte keiner.
Bei den folgenden Anrufen war ihre Geduld bereits erschöpft, ihre Ratlosigkeit machte die Freunde aggressiv, und so erwarteten sie angespannt Disziplin und dass ich wieder inmein Leben ginge, von dem ich doch gar nicht wusste, wo es sich befand.
Hier nicht, im schwachen Licht einer Sonne, die verkehrt am Himmel hängt, und die Menschen strömen von der Fähre in die Läden, die Fische werden in den Restaurants auf den Grill geworfen, überall riecht es nach Essen, die Insel riecht immer nach Essen, nach chinesischen Gewürzen, die vielleicht Glutamat heißen, und ich frage mich, wer das eigentlich isst. Vielleicht könnte er ein Freund sein. Vermutlich steht jedem Menschen nur ein Freund im Leben zu. Egal, ob verwandt oder frei gewählt. Und wenn es diesen einen Freund nicht gibt, ist es nicht verwunderlich, dass alle zum Therapeuten gehen, mit Psychopharmaka ruhiggestellt, ihre Einsamkeit nur im Rausch ertragend. Und ich auf dem Bett, in dem Zimmer, das ich irgendwann einmal reizend fand, und das jetzt zu meinem Feind geworden ist, zu meinem Gefängnis, aus dem ich mich nicht hinauswage, weil ein kleines Mädchen auf mich lauern könnte, um nett zu mir zu sein.
Irgendwann, als es draußen noch dunkler ist, wie schnell das geht am anderen Ende der Welt als dem gewohnten, ertrage ich den Hunger nicht mehr. Er ist mir peinlich wie das Schlafen, wie all die dumpfen Bedürfnisse meines Leibes, der mich nicht interessiert. Ich verlasse das Haus und laufe direkt in Kim, die auf der Gasse hockt. Es ist ihr unangenehm, mich zu sehen, und doch wirkt sie seltsam erleichtert. Ich schäme mich fast ein wenig, einem Kind, das es ohnehin nicht sehr leicht zu haben scheint, solche Mühe zu machen.
»Ich weiß, Sie wollen mich nicht sehen, und eigentlich niemanden. Ich kenne das. Aber ich glaube nicht, dass allein zu sein wirklich so gut für Sie ist, im Moment. Darum habe ichauf Sie gewartet«, sagt das Mädchen hastig, als erwarte sie eine Grobheit von mir, deren Wirkung sie mit Worten zu verringern sucht.
»Ja, du hast recht«, sage ich darum betont freundlich. »Ich will keinen sehen, aber ich will auch nicht auf meinem Bett sitzen und darauf warten, dass vielleicht ein Meteorit einschlägt und mich tötet.«
»Meteoriten kommen hier sehr oft vor«, sagt Kim, »es ist legitim, darauf zu warten, manchmal sterben die Leute während des Wartens. Vielleicht wollen Sie vorher etwas essen?« Ich nicke. Das Vergnügen am Essen sitzt dem Chinesen in den Genen.
»Kommen Sie, wir gehen zu Rob, der sich Rob nennt, weil es so modern klingt und er gerne ein moderner Mensch sein will. Ein wenig albern, aber kochen kann er.« Das Mädchen redet all mein Unwohlsein weg, ich folge ihr durch die überfüllte Hauptgasse, bewundere, wie elegant sie sich zwischen den Menschen bewegt, und fühle mich hinter ihr plump und träge. In einer Seitengasse geht Kim in ein Haus, das mir bei meinen täglichen Wanderungen bereits aufgefallen ist. Im Fenster lässt eine
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