Der Mann schlaeft
ist einer dieser englischen Männer, die man sich hervorragend in Bermudas vorstellen kann. Sein Adamsapfel springt aufgeregt an seinem Hals auf und ab, seinvolles weißes Haar hat er mit einem Seitenscheitel gezähmt. Spricht er, dann in diesem rollenden Englisch, bei dem ich, fern davon, eine Intellektuelle zu sein, nie weiß, ob es sich um einen Oxford- oder Cockney-Akzent handelt. Wie beiläufig entsteht doch etwas, was einer Unterhaltung ähnelt, der aber alles Heitere völlig abgeht. Die beiden Männer reden, sie scheinen unsere Anwesenheit zu vergessen, was mir recht ist; meine Anwesenheit vergäße auch ich gerne. Mit kleinen Fragen lenken Kim und ich ihren Redefluss in die Richtung, die uns interessiert. Die Männer sehen aus wie zwei schlechte Schauspieler, die Schwule spielen. Vermutlich haben sie keine Ahnung, wie man sich angemessen homosexuell verhält.
Es scheint mir, als haben sich die beiden einfach gerne und wissen nun nicht, wie ein Mann damit umgeht, aus Versehen einen Menschen des gleichen Geschlechts zu mögen. Unbeholfen tasten sie immer wieder nacheinander, zucken dann wie ertappt zurück, und man möchte ihnen sagen: »Jungs, es ist alles gut.«
Dieses Theater, das um Sexualität gemacht wird, zu unerheblich, um sich davon beeinflussen zu lassen. Selbst die seltsamste Fetischanwandlung wollen wir heute begreifen und akzeptieren, wir wollen tolerant sein und offen und ersticken an unserem Hass gegen alles, was uns nicht ähnelt, und brüllen umso lauter das Lied der Gleichberechtigung.
Alles muss definiert sein, geregelt, geordnet; geheiratet muss werden, auch gleichgeschlechtlich, auch Familienmitglieder und Tiere, so entfernt von Anarchie und Ungehorsam wie jetzt schienen die Menschen noch nie, gerade weil sie so frei sind. Wenn sie nicht das Pech hatten, im Mittelalter geborenzu werden, also bei Fundamentalisten, also im Patriarchat, versagen sie es sich, suchen nach Geländern zum Festhalten, haben Angst, sich zu verlieren, wenn sie die Regeln nicht befolgen, die sie selber aufgestellt haben. Alle müssen über ihre sexuellen Präferenzen reden, sie müssen sich mitteilen, unbedingt, und akzeptiert werden. Was macht einen denn schwul in diesem Alter, nahe den Sechzigern; geht es um Hormone oder um Berührungen, die man irgendwie staatlich anerkennen lassen muss?
Leise fliegen Sätze durch die Nacht, aus denen ich mir die Geschichte der beiden zusammensetze.
Rob, der Chinese, war von einem Tag auf den anderen aus seinem Leben geflohen. Er hatte seiner Frau und den erwachsenen Kindern fast sein gesamtes Geld auf dem Konto gelassen, einen netten Brief auf den Tisch gelegt und war von der Fähre zum Flughafen gefahren, wo er den nächsten Flug nahm, der sich anbot. Der Flug hatte ihn nach Dublin geführt. Nun, dann eben Dublin, hatte Rob gedacht, der von der Routine, die er sich eingerichtet hatte, so ermüdet war, dass er meinte, er müsse sekündlich ins Koma fallen.
Es war ihm nie gelungen, zu seiner Frau ein freundschaftliches Verhältnis zu entwickeln, und nachdem seine Kinder aus dem Haus waren, herrschte in seiner Wohnung eine unangenehme Stille. Jahrelang. Das gab es wohl wirklich, diese Ehen, die wegen der Kinder hielten, dachte Rob eines Tages, als sein Körper wie eingefroren schien, und er merkte, dass er dringend ein wenig Wärme brauchte. So war es zum Tag seines Aufbruches gekommen.
Rob war in Dublin gelandet und hatte auf freundliche Nachfrage beim Touristenzentrum eine billige Unterkunftbeim YMCA empfohlen bekommen. Dort saß er im Regen Dublins, der absolut nichts Warmes an sich hatte, und dachte über sein Leben nach, wobei »denken« in dem Zusammenhang ungenau war. Er schaute sich sein Bildarchiv an und fand nichts, das man hätte einrahmen wollen. Also verbrannte er alles, die Geschichte, die Erinnerung, fast hätte er sich selber den Flammen übereignet, die er gedanklich entzündet hatte, als er ein Klopfen an der Tür hörte. Es war Ben, der jetzt hier auf dem Dach seines Hauses sitzt und der damals vor Robs Tür stand. Er hatte Geräusche gehört. Das war ja oftmals der Beginn zauberhafter Beziehungen, Geräusche hören an Orten, an denen sie nichts zu suchen haben.
Ben hatte seine Arbeit in London verloren, und seine Mutter, bei der er lebte, war eventuell gestorben.
Der Stoff, aus dem Obdachlosenschicksale gewoben werden. Die beiden Männer saßen nächtelang in Dubliner Pubs und froren, bis sie von einem Trunkenbold wirre Phantasien zu einer Gemeinschaft
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