Der Mann schlaeft
geht es. In Ländern, in denen es noch keine Pille gibt, aber deshalb Familien, die wunderbaren Familienclans der Dritten Welt, hassen sie sich doch zu Tode in ihren rußgeschwärzten Hütten. Die einzige Gerechtigkeit, die es anzustreben gilt, ist, dass alle ungebremst und gleichwertig ihre Bosheit ausleben dürfen. Hat man es nicht zum Anwesen mit Stacheldraht und Scharfschützen gebracht, weil man ein erbärmlicher Versager ist, bleibt einem einzig, sichmit einer Person seiner Wahl in einen geschlossenen Raum zurückzuziehen. Ein Hoch auf den Doppelselbstmord.
Wir zogen unseren Kreis ums Hotel, begannen jeden Tag mit derselben Straße, es gelang mir inzwischen, die Bewohner der kleinen Häuser auseinanderzuhalten, von denen jedes zehn Millionen Dollar gekostet hatte, dafür gab es fünfzig Meter im Quadrat und einen ein Meter großen Vorgarten.
Ich hielt den Mann immer an der Hand oder er mich an meiner. Es war mehr als eine Gewohnheit. Es war Angst. Ich griff nach seiner Hand, wenn wir nicht nebeneinander gehen konnten, sondern hintereinander. Und ich dachte, vielleicht verschwände er einfach hinter mir, in einem Loch oder in einem Ufo, und darum musste ich ihn festhalten. Vermutlich hielten sich alle Paare aus diesem Grund, ich hatte es früher nie verstanden, dieses Sich-Angefasse, diese Hektik, wenn sich die Hände verlieren. Inzwischen war mir alles klargeworden. Man wollte nicht mehr alleine sein in dieser ekelerregenden Welt. Die Angst fixierte Paare an den Händen.
Heute.
Morgen.
Rob und Ben liegen auf dem Sand, die Beine halb im Wasser, sich an den Händen haltend. Neben ihnen steht das seltsame Arche-Ufo, das Ben gebaut hat, eine Fahne weht unangemessen fröhlich an seinem Bug, wenngleich ich nicht genau weiß, was der Bug ist.
Die Männer sind nackt bis auf weiße Lendenschürze, ihre Augen geöffnet, und was die beiden ausgemacht hatte, nicht mehr vorhanden.
Einige Chinesen stehen schweigend und ratlos um das Paar, keiner schaut genau hin, sie betrachten etwas am Horizont. Wie alle haben auch die Inselbewohner eine große Freude an schlechten Neuigkeiten, soweit diese nicht sie selber betreffen, und ein altes Schwulenpaar tot am Strand ist eine hervorragend schlechte Neuigkeit, doch jeder hier kannte die beiden, was sie zu einem erweiterten Teil der Familie machte, da legt keiner Wert auf detaillierte Informationen, zu nahe sind einem die Leichen und die Idee, man selber könnte da liegen, halbnackt, begafft vom Nachbarn. Von weit her ist eine von den kleinen dünnen Sirenen zu hören, wie sie auf den motorisierten Bollerwagen befestigt sind, die auf den Inselstraßen verkehren. Wie auf Verabredung wenden sich alle erleichtert dem eintreffenden Rettungsfahrzeug zu, wobei Rettung hier fehl am Platz scheint. Die Sanitäter prüfen ohne jede Eile und Hoffnung den nicht mehr vorhandenen Puls, laden das Paar auf, und die Inselbewohner entfernen sich schweigend, nichteinmal Mutmaßungen mögen sie äußern, selbst für den abgebrühtesten Chinesen ist das Bild der beiden Männer, die einander haltend am Strand liegen, so beeindruckend, dass ihm nichts dazu einfällt. Die beiden scheinen sich vergiftet zu haben, denn es gibt keine Anzeichen von äußerer Gewalt, kein Blut, keine offenen Pulsadern, keine Schusswunden. Vielleicht hat das Ufo-Archeboot nicht funktioniert, und sie waren ihrer Enttäuschung erlegen. Menschen den Sinn zu nehmen, den sie ihrem Leben mit Mühe gegeben haben, kann durchaus tödlich enden.
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sie, als sie von Sicherheit sprachen, bei Tisch, einen Ort meinten, an dem sie keiner mehr trennen kann.
Neben dem Boot, das wie ein Modell wirkt, das Kinder für eine Schulaufführung von Kapitän Nemo gebastelt haben, dauert es eine Zeit, bis ich merke, dass mein vorherrschendes Gefühl beim Betrachten der Leichen Neid ist. Ich sehe auf die Umrisse der beiden Männer im Sand, die gleich weggespült werden, und bin weit entfernt davon, mir ein Paradies vorzustellen, ein Jenseits, den Garten Eden, das nächste Leben, all den Mist, den wir uns ausdenken, weil wir die Erbärmlichkeit unseres Lebens nicht akzeptieren können, und doch waren sie wenigstens zusammen bis zum Schluss. Sie müssen nicht alleine alt werden, nicht verfallen, nicht unter Blasenschwäche leiden, sie sind gestorben, Hand in Hand, mit einem Traum. Bis ich wieder träumen kann, werden ein paar Jahre vergehen, und ich habe keine Ahnung, wie ich die herumbringen soll.
Meine alten Rituale
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