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Der Mann von Anti

Der Mann von Anti

Titel: Der Mann von Anti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ekkehard Redlin (Hrsg)
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ein Mensch«, raunzte einer der vier ungnädig.
»Wie stolz das klingt«, entgegnete der Menschenkundler, und dann atmete alles auf, weil jetzt die Luftkissen einschwebten. Die hilflosen Personen wurden verladen, und zurück blieben der Klärer und der Menschenkundler.
Sie durchsuchten die Intimklause auf Spuren oder sonstige Hinweise, und der Klärer war dankbar, daß er nicht auf sich allein gestellt blieb.
Alles, was sie fanden, war der kleine Abriß eines Materials, das Kundige als Papier identifiziert hätten.
»Muß verdammt alt sein«, murmelte der Menschenkundler.
Der Klärer nickte. Es war vergilbt, und er konnte mit den Fingern ertasten, daß es künstlich haltbar gemacht worden war. Nur – es war ein Abriß, ein Eckchen. Nichts darauf zu sehen. Er drehte das Fundstück wohl zwanzigmal hin und her, hielt es dicht ans Auge, benutzte sogar die Lupe, aber er konnte nicht herausfinden, wozu es einmal gehört haben könnte.
Stumm schwebten sie zum KKsF.
Dort speiste der Klärer die Identitätskoordinaten in den Spezialkomputer ein, und Sekunden später spuckte der die Daten der vier hilflosen Personen aus.
»Kannst du damit was anfangen?« fragte der Klärer.
»Und ob«, antwortete der Menschenkundler. »Die beiden Männer sind Rhapsoden! Fällt dir daran nichts auf?«
»Nein!«
»Zwei Rhapsoden in trautem Nebeneinander! Das ist ungewöhnlich. Was sage ich, das ist sensationell!«
Der Klärer zuckte mit den Schultern. »Kann sein, nur für meine konkreten Bedürfnisse kaum brauchbar.«
»Sind Klärer phantasielos?«
Der Klärer sah seinen Partner mitleidig an. »Ein Klärer arbeitet mit Fakten. Aber bitte, wenn’s deine Phantasie anregt, laß sie spielen. Schaden kann es nicht, Zeit haben wir auch, denn vor morgen früh geben die Heilfritzen ihre Opfer ohnedies nicht frei.«
Der Menschenkundler setzte sich zurecht und nahm eine schöpferische Miene an. »Es war einmal ein Mensch«, begann er in geheimnisvollem Ton.
»Ah«, sagte der Klärer, »ein Märchen!«
Der Menschenkundler ließ sich nicht stören. »Dieser Mensch hielt sich für wichtig, für bedeutungsvoll. Eine normale und übliche Erscheinung. Dazu aber gesellte sich bei ihm ein ungeheures Mitteilungsbedürfnis. Er litt, wenn er es nicht befriedigen konnte. Folglich teilte er sich jedem mit, der ihm begegnete, ohne zu fragen, ob seinem Gesprächspartner der Sinn danach stand. Dies aber ist bekanntlich nur den Rhapsoden erlaubt und wohlweislich ist niemand verpflichtet, einem Rhapsoden zu lauschen! Nichts lag also näher, als daß sich unser Mann mehr und mehr steigerte, bis er von den eingesessenen Rhapsoden als einer ihresgleichen bemerkt wurde.
Erst duldeten sie ihn, dann wandten sie den Kopf nach ihm, und schließlich nannten sie ihn beim Vornamen. Nun durfte er sich mitteilen, wann und wo es ihn überkam. Bald war er unter den Rhapsoden so heimisch, daß man ihn nicht mehr von den altehrwürdigen unterscheiden konnte. Er wußte, daß er der Größte war, betonte aber stets, daß er, um sich kunstvoll mitzuteilen, noch viel zu lernen habe. Er rhapsodierte immer besser, und die anderen verstanden ihn immer weniger, wie auch umgekehrt.
Eines Tages rhapsodierte er so kunstvoll, daß er der einzige blieb, der verstand, was er sagen wollte. Er trug seine Nase nun als Kopfputz und beugte sich nur noch einem, seinem erklärten Freund unter den Rhapsoden. Der wußte schon selbst nicht mehr, was er meinte, wenn er rhapsodierte.
Gern zahlten sie den Preis für ihre Meisterschaft: die Einsamkeit. In glückhaftem Schmerz genossen sie es, von der Mitwelt verkannt zu sein. Doch bei allem blieben sie Denkende und Fühlende und darum auf Beachtung und Anerkennung angewiesen.«
Hier legte der Menschenkundler eine Pause ein. Er bereitete seinen wichtigsten Satz vor. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß der Klärer zwar verständnislos, aber dennoch aufmerksam blickte, erzählte er sein Märchen zu Ende.
»Die beiden Rhapsoden suchten Beachtung. In der unbenutzten Intimklause siebenundachtzig legten sie einen Zettelabriß in eine Ecke, verstreuten geheimnisvolle braune Duftkügelchen und betteten sich auf den Fußboden. Sie regulierten ihren Kreislauf auf ein Minimum und atmeten nicht mehr, denn sie wußten, daß sie in kürzester Frist höchste Aufmerksamkeit genießen würden: die seltene Aufmerksamkeit eines Soforteinsatzes.«
»Teuflisch!« Der Klärer war aufgesprungen. Aschfahl im Gesicht. »Geh mir mit deiner Phantasie. Sie stammt von gestern.«
»Was

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