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Der Mann von Anti

Der Mann von Anti

Titel: Der Mann von Anti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ekkehard Redlin (Hrsg)
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der beiden Menschen waren zu vernehmen. Und doch war diese Stille vollkommen.
Lautlos und unbemerkt verschwand Johanna durch die angelehnte Tür so leise, wie es nur Tiere können.
Günther Krupkat
Der Mann vom Anti
    Sie kennen doch Bratt? Ganz recht, Jon Bratt vom Kosmofunk. Seine Reportagen liefen ja über die Bildschirme aller Kontinente. Jeder bewunderte die Selbstsicherheit, mit der er die schwierigsten Situationen bewältigte, sei es auf einer fernen Raumbasis, in den kritischen Simazonen des Erdinnern oder sonstwo.
    Boshafte Kollegen spöttelten damals, ihn könne nichts aus der Fassung bringen, nicht einmal eine Frau, weshalb seine zahlreichen amourösen Episoden weit weniger erfolgreich verliefen als seine Fernsehabenteuer. Sie nannten ihn einen eiskalten Routinier. Das ist er aber nie gewesen. Auf der Weltreise des ersten Luftkatamarans hatte er sogar beinahe die Nerven verloren und eine Panik ausgelöst. Das glauben Sie nicht? Ich habe es miterlebt und will Ihnen die Geschichte gern erzählen. Jon wird nichts dagegen haben, inzwischen sind etliche Jahre vergangen.
    Das Doppelrumpf-Flugschiff sollte mit zweitausend Passagieren starten. Rund um den Erdball sprach man von dem Ereignis und wartete auf den TV-Bericht, den – wie könnte es anders sein? – Jon Bratt von dem fliegenden Riesen geben würde.
    Mit den ersten Reisenden schon kam er an Bord. Obwohl ein Meister der Improvisation, wollte er diesmal nicht auf sachkundige Hilfe verzichten. Der Kommandant empfahl ihm, sich mir anzuvertrauen. Ich war Zweiter Aviator und gehörte – als einzige Frau übrigens – zur Schiffsleitung.
    Warum der Kommandant gerade mir die Aufgabe zugeteilt hatte, Bratt hilfreich zur Seite zu stehen, erfuhr ich nicht. Möglicherweise sollte es eine Auszeichnung sein. Oder er setzte darauf, daß weibliches Einfühlungsvermögen im Umgang mit Bratt zweckdienlich wäre.
    So stand der vielgerühmte und vielberedete Mann nun leibhaftig vor mir. Der erste Eindruck enttäuschte mich ein wenig. Vom Bildschirm her und nach den Gerüchten, die über ihn umliefen, hatte ich ihn mir anders vorgestellt, ungewöhnlicher, aufregender. Immerhin schien er sich für unwiderstehlich zu halten.
    Er musterte mich ungeniert und lächelte dabei herablassend. Ich war deswegen nicht gekränkt, eher betrübt. Eine Frau hört eben gern ein Kompliment, noch dazu von einem Mann wie diesem, auch wenn es nur erlogen ist. Ich entschloß mich zu kühler Freundlichkeit und schlug vor, sogleich an die Arbeit zu gehen. Er war damit einverstanden. Die Reportage verlief ganz im Stile Bratts. Als sei ein Flugkatamaran etwas Alltägliches, schlenderte er durch die Gänge und Räume. Mit bewundernswerter Ungezwungenheit erklärte er den Millionen am Bildschirm alle Einrichtungen nach den Informationen, die ich ihm sozusagen aus der Kulisse zuflüstern durfte.
    Es gab viel Neues, Großartiges, für die Luftfahrt damals höchst Außergewöhnliches in den sechs Decks, von denen jedes fünfhundert Meter Länge hatte. Da waren die luxuriösen Wohnkabinen, Klub- und Speiseräume, die elektronische Bibliothek, Schwimmbäder, Sporthallen, ein Theater und als Attraktion aus alter Zeit sogar ein Kino. Im Oberdeck hatte man einen Park angelegt, den bei Nacht eine künstliche Sonne beleuchtete. Und dann…
    Obwohl alle Decks mit Rollbahnen ausgestattet waren, unterbrach Bratt schließlich den Rundgang. Er brauchte eine Erholungspause, meinte er. Ein Nickerchen vielleicht? O nein, er dachte an eine kleine Plauderstunde. Mit wem? Mit mir. Dazu also reichten des Meisters Kräfte noch. Ich sagte zu. Es reizte mich, nach dem Reporter auch den Menschen Bratt kennenzulernen. Da ich aber in der Kommandozentrale zu tun hatte – das Luftschiff war inzwischen gestartet –, bat ich um etwas Geduld, und wir verabredeten einen Treffpunkt im A-Deck.
    Der Dienst hielt mich länger auf, als ich gedacht hatte. Im Nu war eine Stunde vergangen. Bratts Plauderstunde! Daß er noch auf mich warten würde, hielt ich für unwahrscheinlich. Vielleicht hatte er die Verabredung auch gar nicht ernst gemeint. Bei Reportern weiß man ja nie, woran man ist.
    Um mich zu vergewissern, schaltete ich das Video ein. Bratt war tatsächlich gekommen. Er saß mit lässig ausgestreckten Beinen in einem Sessel vor der gläsernen Stirnwand des ADecks und schaute auf die vorüberziehende Landschaft hinab.
    Er war jedoch nicht allein. Neben ihm bemerkte ich einen Passagier, einen älteren Mann von unscheinbarem

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