Der Mann von Nebenan
ärgerlich.
»Bin schon weg«, sagte er und küßte sie auf die geschwollenen Augenlider.
Er packte seinen Seesack und wuchtete ihn über die Schulter. Auf der Straße stand ein Taxi mit laufendem Motor. Am Gartentor drehte er sich um.
»Hey, weißt du, was ich die ganze Zeit vergessen habe, dir zu sagen? Du solltest nicht alleine im Garten schlafen. Man weiß nie …« Er winkte ihr zu, drehte sich um und stieg in den Wagen.
»Warte, was meinst du?« rief Kate.
Nellis kurbelte die Scheibe runter. »In der Nacht, als ich ankam. Ich fand dich schlafend auf der Terrasse.«
Kate versuchte, sich zu erinnern. Richtig, als sie aus ihrer Bewußtlosigkeit erwachte, lag sie auf der Gartenliege, den Kopf in Nellis’ Schoß gebettet.
»Ich dachte … ich dachte, du hättest mich dort hingelegt?«
Nellis schüttelte erstaunt den Kopf. »Nein, du hast schon dort gelegen. Ich habe mich zu dir gesetzt, und dann bist du aufgewacht.«
Der Taxifahrer ließ ungeduldig den Motor aufheulen. Nellis winkte ein letztes Mal und war gleich darauf verschwunden.
»Aber … aber wie bin ich dann auf die Liege gekommen«, murmelte Kate verwirrt.
Sie erinnerte sich genau, wie sie plötzlich die Arme um den Körper gespürt und das Bewußtsein verloren hatte. Es war mitten im Garten gewesen, in der Nähe des Apfelbaums, weit weg von der Terrasse. Wenn es also nicht Nellis gewesen war, der sie von dort auf die Liege getragen hatte, dann mußte in dieser Nacht noch jemand im Garten gewesen sein.
ACHT
D er Brief war mit Schreibmaschine geschrieben und Kate per Einschreiben zugestellt worden.
»Sehr geehrte Frau Moor, hiermit teile ich Ihnen mit, daß ich die am 24.1.1985 erteilte Duldung der Überbauung meines Grundstücksanteils Fl. Nr. 716/5 zurückziehe. Ich fordere Sie hiermit auf, bis zum 30.9. diesen Jahres den unrechtmäßig errichteten Schuppen an Ihrer Grundstücksgrenze zu entfernen. Hochachtungsvoll, Wilfried Mattuschek.«
Kates Hand zitterte leicht. Sie las den Brief ein zweites, dann ein drittes Mal.
Er machte seine Drohung also wahr.
Sie erinnerte sich an den Morgen nach dem Fest.
Wie in Trance war sie ins Haus zurückgekehrt, war ziellos auf und ab gegangen, mit einer dröhnenden Leere im Kopf. Die immer gleichen Fragen bohrten in ihr: Was war in dieser Nacht geschehen? Wieviel Zeit war zwischen ihrer Ohnmacht und ihrem Erwachen vergangen? Und wer, außer Nellis, war noch im Garten gewesen?
Irgendwann hatte sie sich mit dem letzten Rest ihrer Energie aufgerafft und das Geschirr gespült, den Müll rausgebracht und die Flaschen entsorgt.
Am Glascontainer ertönte plötzlich eine Stimme neben ihr: »Das war aber gar nicht nett von Ihnen.«
Erschrocken hatte sie aufgesehen.
Mattuschek hatte sie angestiert, mit dem Blick eines angeschossenen Tieres, das jeden Moment wütend zubeißen würde.
»Was wollen Sie von mir?« hatte Kate angriffslustig gefragt und eine Flasche mit voller Wucht in den Container geschleudert, so daß sie klirrend zerplatzte.
»Was ich von Ihnen will?« Seine Stimme war leise, schneidend. »Nichts. Sie haben mir ja deutlich gezeigt, daß Sie auch nichts von mir wollen. Manche Nachbarn sind eben nicht fein genug, wenn man Katharina Moor heißt.«
Kate waren der Schneckenmatsch auf dem Kompost und die abgesägten Äste des Apfelbaums eingefallen, die klebrige Torte, seine penetrante Freundlichkeit, das gräßliche Mittagessen, das heimlich aufgenommene Foto. Und ihr Entsetzen, als zwei Arme aus der Dunkelheit sie plötzlich umschlangen.
Eine unbändige Wut hatte sie gepackt, sie hatte begonnen zu schreien. »Lassen Sie mich endlich in Ruhe, Sie widerlicher Kerl! Ich will nichts mit Ihnen zu tun haben, verstehen Sie!«
Keuchend, mit geballten Fäusten stand sie vor ihm, bereit, auf ihn einzuschlagen, wenn er sich nur einen Millimeter auf sie zubewegen würde.
Er hatte sich nicht gerührt, nur seine Augen hatten sich langsam zu schmalen Schlitzen verengt. Und dann hatte er einen einzigen Satz gesagt, mit dieser gefährlich leisen Stimme: »Das wird Ihnen leid tun, Frau Moor, sehr leid!«
Dann hatte er sich umgedreht und war gegangen.
Kate hatte sich mit geschlossenen Augen an den Glascontainer gelehnt und gegen den Schwindel angekämpft. Es waren mehrere Minuten vergangen, bis sie sich wieder in der Gewalt hatte. Kalkweiß im Gesicht, mit schweißnasser Stirn, war sie ins Haus zurückgekehrt und hatte sich für den Rest des Tages ins Bett geflüchtet.
Und nun verlangte Mattuschek also,
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