Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel
mit dieser Horrorliste von der Nordischen Gesellschaft. Auf ihrer Insel gab es keinen Malte Jahn, der mit blassem Gesichtsausdruck hinter dem alten Schild seiner Familie hervorlugte und witterte, dass die Zeit gekommen war, um seinen traurigen und verkannten Großvater zu rächen. »Hier würden die Häuser nie versinken. Auf dem Fundament des Vulkangesteins müsste man Brüning gar nicht zurate ziehen!«, hörte er seine Mutter über den Atlantik rufen. »Was ist eigentlich eine Worps, du sagtest mal Worps oder Wurte?«, sie hatte mit ihrer Economie-telefonica-Vorwahl auch die Ruhe, hochspezielle Fragen zu stellen.
»Weiß ich nicht so genau. Ich glaube: fester Grund, vielleicht eine Erhöhung, Worps gleich Haufen«, antwortete Paul. Er sah dabei Nullkück an, wie er das Lenkrad mit beiden Händen umklammerte und mit aufgerissenen Augen nach vorne in den Nebel starrte, während der Bauernführer hinten schon zu klackern begann, da er ständig gegen die Metallscharniere des Anhängers schlug.
»Hier gibt es überall feste Erhöhungen. Wenn ich dir jetzt das Farbenspiel hinter El Golfo schildern würde, dann würdest du vielleicht den Schritt wagen, es mit einer Dépendance in Las Brenas zu versuchen. Hier leben wunderbare Maler, die sich von der Vulkanlandschaft inspirieren lassen. Man muss gar nicht erfolglose Maler in Berlin ausstellen. Wenn du das Problem mit unserem Haus geklärt hast, bitte ich dich zu kommen. Es fliegen täglich Flugzeuge nach Arrecife, und du kannst sogar nach Fuerteventura buchen und nimmst dann die Autofähre nach Playa Bianca. Von dort mit einem Mietauto auf der Ostroute in die Berge und nach ein paar Verkehrskreiseln bist du bei mir.«
Als ob er das nicht wüsste, dachte Paul. Er hatte ja lange genug dort gelebt. Nach dem Tod des Großvaters, als seine Mutter dem Haus den Rücken kehren konnte und bei der Gelegenheit gleich auswanderte aus einem Land, das sie geistig für nicht sonderlich entwickelt hielt. So kam Paul nach Las Brenas. In ein Bergdorf auf Lanzarote, in dem auch deutsche Maler, Dichter und Rockmusiker lebten sowie ein Universalkünstler, der aus dem Schrott der Welt die tollsten Gebilde schuf, sodass man die Dinge neu sehen konnte. Ebenso erging es Pauls Mutter, denn sie verliebte sich in diesen Mann mit den Verwandlungshänden und dem schönen, lockigen Silberhaar.
»Nos fundar un colonia el artista noevo!«, sagte sie.
»Schon wieder?«, antwortete Paul. »Ich möchte nicht immer in Künstlerkolonien leben, eine reicht doch?«, aber es half nichts.
Seine Mutter setzte sich in Las Brenas fest. Sie gründete ihr »Bewusstseinsstudio«, in dem sie nach der Neurolinguistischen Programmierung, abgekürzt NLP, Seminare anbot in den Bereichen Coaching und Managementtechnik sowie Familientherapie nach Virginia Satir, deren Methode sich seltsamerweise »Familienskulptur« nannte, so als würde seine Mutter in gewisser Weise die Arbeit ihres Vaters fortsetzen und nun an ganzen Familien herummodellieren. In den beiden anderen Seminaren ging es um Neuprägung und History Change, wobei es sich beim History Change um das Verändern von belastenden Erinnerungen aus der Vergangenheit handelte. Im Prinzip wurden bei den Seminarteilnehmern negative Gefühle aus der Vergangenheit von seiner Mutter »geankert«, wie sie das nannte, und dann wurde aus der Gegenwart ein neuer, besserer »Gefühlsanker« in die Zukunft geworfen. Später nahm sie noch Hypnosetechniken ins Programm nach Milton H. Erickson, der das Milton-Modell entwickelt hatte, eine Technik, um an das Unbewusste des Menschen zu kommen. Sehr konsequent und bewundernswert, dachte Paul manchmal, seine Mutter hatte die spirituellen Lebensformen aus ihrer 68er-Zeit herausgehauen wie Kovac Ersatzteile aus einem verschrotteten Auto, und jetzt war sie ungemein fahrtüchtig, ihr »Bewusstseinsstudio« lief wirklich wie geschmiert. Das alles in Las Brenas, in herrlichster Vulkanlandschaft und umgeben von Künstlern, die ja die Meister des Unbewussten waren und die sich auch alle von seiner Mutter Gefühlsanker in die Zukunft werfen ließen. Paul protestierte. Gegen die neue colonia el artista und gegen die Neurolinguistische Programmierung mit History Change, gegen das Milton-Modell und gegen das Unbewusste. Nach der Schule, die er mit Hängen und Würgen auf Spanisch beenden musste, begann er einfach eine Banklehre in Playa Bianca: Zinsrechnung, Kapitalrendite und lineare Abschreibung setzte er dem Mutter-Modell entgegen, bis die
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