Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel
mit einem monoton-dumpfen, nervtötenden und infernalischen Metall- und Glockenton abgehackt, eckig und stoßartig auf Paul zuruckelten.
Er wachte am Morgen auf und wusste: Er musste das Haus so schnell wie möglich verkaufen! Bevor es zu spät war! Bevor dieser Rudolph mit irgendwelchen Gedenkstiftungen oder sonst wem anrücken und den Kaufpreis in den Keller treiben würde! Er schrieb in sein Notizbuch:
Wert der Immobilie ermitteln! Über eine halbe Million?
Auf der Seite davor stand sein erster Entwurf für die Verkaufsanzeige:
Großes, historisches Haus in Worpswede zu verkaufen. Fachwerk. Reetdach. Das Haus hat einen großzügigen Wohnbereich. 16 Zimmer, Küche, mehrere Bäder und WC. Kachelofen. 2.500 m2 Gartenfläche. Mit oder ohne Hausmeister.
Paul sah auf seinen Text. Vielleicht war es nicht interessant genug formuliert, dachte er. Vielleicht musste er größer auftragen.
Historisches Anwesen in Worpswede! Der Garten (2.500 m2) ist von kunstgeschichtlichem Interesse. Das herrschaftliche Haus, in dem der Künstler des Jahrhunderts lebte, hat einen großzügigen Wohnbereich mit Ost- und Westflügel. Neue Pfahlgründung. Dielen. Mehrere Bäder. Mit oder ohne Hausmeister. Panoramablick!
Da kriegte man doch mehr als eine halbe Million? »Panoramablick« zu schreiben war bei einem Parterrehaus vielleicht nicht üblich, aber aus den Fenstern konnte man über die Wiesen bis zum Horizont schauen. »Mit oder ohne Hausmeister« strich er lieber. Er konnte Nullkück nicht einfach mitverkaufen. Stattdessen schrieb er:
Original-Eichenschrank des Bildhauers Paul Kück ...
Wie seltsam, wie traurig, seinen Geburtsschrank in einer Anzeige anzubieten. Er stellte sich vor, wie in dem Schrank, in dem er geboren worden war, plötzlich fremde Herrenanzüge hingen, die nach einem anderen Leben rochen. Er strich auch den Schrank und schrieb stattdessen:
Bedeutende Skulpturen im Garten: Willy Brandt, Bismarck, Einstein, Luther, Ringo Starr, Rühmann, Schliemann, Rilke, Napoleon, Nietzsche ...
Vielleicht sollte er ganz auf diese Ebene verzichten? Er strich den »Künstler des Jahrhunderts«, auch die bedeutenden Männer, und schrieb stattdessen:
Große, ausbaufähige Scheune.
Ihm fiel der Brief wieder ein. Er würde jetzt aufstehen, in die Küche gehen und endlich den Brief lesen.
Ana und Georgij (Zwei Russen auf der Hamme)
Am Morgen, als Ana im Barkenhoff aufwachte, sah sie auf die weiße Terrasse, die dalag wie ein Platz für Menschen mit einem schönen Leben. Sie fragte sich, ob sie eine Ausnahme gewesen war, als sie in der Nacht auf diesem Platz gesessen hatte, und ob das weinende Gespenst nur deshalb gekommen war, weil sie schon dagesessen und einen Anfang gemacht hatte mit den Traurigen auf dem schönen Lebensplatz.
Sie sah eine Weile Georgij an, der neben ihr schlief. Er kam ihr nicht vor wie ein fremder Mann. Eher wie eine Art Bruder. Vielleicht weil er im richtigen Augenblick diese E-Mail mit dem Märchenland geschickt und ihr die Flucht aus dem schrecklichen Keller in Hamburg ermöglicht hatte.
Sie schrieb eine Nachricht und legte sie auf den Tisch:
Guten Morgen. Gehe etwas für den leeren Kühlschrank einkaufen. Und lade dich um zwei Uhr zu einer Schiffsfahrt ein. Zwei Russen im Torfkahn durch die berühmte deutsche Landschaft. Diese Malerin hat das auch gemacht. Ana.
Als Georgij aufgewacht war und den kleinen Brief gelesen hatte, nahm er die Zange und versuchte noch einmal in Ruhe eine Leinwand aufzuziehen, ohne dabei das Gewebe zu überspannen. Doch diesmal lag die Leinwand auf dem Rahmen wie eine Hängematte. Er warf die Spannzange wieder in die Ecke und griff vorsichtig in Anas Reisetasche. Es konnte ihm keiner erzählen, dass Männer das nicht machten, wenn so eine Sexbombe zu Besuch kam, dachte er und befühlte die Unterwäsche.
An der Hamme standen die schwarz geteerten Torfkähne mit braunen Segeln. Ana zog ihre Schuhe mit den Korkabsätzen aus, während Georgij an einem dieser ewig langen pinkfarbenen Beine entlang sah, das gerade vom Land auf den Torfkahn übersetzte.
Aus der Gastwirtschaft Neu-Helgoland, deren Name immer noch an die Übergabe der britischen Insel Helgoland an das Deutsche Reich unter Wilhelm II. erinnerte, kam ein Mann mit einem verwitterten Gesicht. Er trug ein blaues Hemd, eine schwarze Weste und die verschwitzte, etwas schief sitzende Bauernmütze, unter der ungewöhnliche Segelohren hervorragten.
»Schippern?«,
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