Der Marathon-Killer: Thriller
Gruppe gearbeitet und dauernd Blicke gewechselt hatten, die sie für vielsagend hielt.
Sie klopfte einmal und wartete. Zu hören war nichts, und einen Augenblick lang dachte Leila, er schlafe schon; oder vielleicht war er in Portsmouth unterwegs und hatte das Licht nur angelassen, um seine Anwesenheit vorzutäuschen. Dann jedoch öffnete sich die Tür, und Marchant stand in einem verwaschenen Surfer-T-Shirt und Boxershorts vor ihr.
»Ich konnte nicht schlafen«, sagte sie. »Kann ich reinkommen?« Marchant antwortete nicht, trat aber zur Seite und ließ sie in den kleinen Raum. »Frierst du nicht? Diese Bruchbude ist saukalt.«
»So schlafe ich wenigstens nicht ein.« Marchant nahm eine Hose vom ungemachten Bett, warf sie in eine Ecke und setzte sich wieder an den Schreibtisch. »Fühl dich ganz wie zu Hause. Ich habe leider nur einen Stuhl.«
Leila ließ sich auf der Bettkante nieder. Auf dem kleinen Schreibtisch lag ein Stapel Papier im Schein einer verbeulten Gelenkleuchte. Daneben stand eine halb leere Flasche
Whisky. Einige Momente lang schwiegen sie und lauschten dem Wind draußen.
»Was liest du?«, fragte sie. Er wandte sich leicht ab und blätterte die bedruckten Seiten durch.
»Berühmte Verräter. Hast du gewusst, dass die Russen Aldrich Ames immer noch 2,1 Millionen Dollar schulden? Sie haben das Geld auf einem Auslandskonto hinterlegt, falls er jemals aus dem Gefängnis in Pennsylvania rauskommt. Er hatte keine höheren Motive, nur das Geld. Seine Frau hat beim Shoppen mehr ausgegeben, als sein CIA-Gehalt erlaubte. So einfach ist das manchmal.«
»Es ist vier Uhr morgens.«
»Ich weiß.«
»Warum jetzt?«
Marchant wandte sich ihr wieder zu. »Ich muss diesen Kurs nicht nur über mich ergehen lassen, sondern den Mist mit Auszeichnung bestehen.«
»Wegen deines Vaters?«
»Du hast den Ausbilder gestern gehört. Er ist eindeutig davon überzeugt, dass ich nicht aufgrund meiner Fähigkeiten hier bin. Schließlich ist mein Dad der Boss.«
»Ach, so läuft das doch heute nicht mehr. Das weiß doch jeder.«
»Der Ausbilder nicht.«
Marchant wandte sich seinem Schreibtisch zu und sah durch das Fenster in den dicken Steinmauern hinaus. Der Morgen graute, und in der Ferne blinkten die Lichter der Fähre von Bilbao nach Portsmouth. Auf der anderen Seite der Hafeneinfahrt sah er die Silhouette der Achterbahn, mit der sie vor zwei Tagen gefahren waren, um das Gruppengefühl zu stärken. Leila stand auf, ging zu ihm
und begann, seine Schultern zu massieren. Da hatte sie ihn zum ersten Mal berührt. Er zuckte nicht zurück.
»Du solltest dir ein wenig Schönheitsschlaf gönnen«, sagte sie ihm ins Ohr.
»Ich wollte in der Bar nicht abweisend erscheinen«, antwortete er und legte langsam eine Hand auf ihre.
»Du warst mit den Jungs zusammen. Ich hätte euch in Ruhe lassen sollen.«
»Das ist es nicht.«
»Nein?«
Er zögerte. »Ich werde auf absehbare Zeit nicht gerade der angenehmste Zeitgenosse sein.«
»Sollten das nicht die anderen entscheiden?«
»Vielleicht. Aber in den nächsten sechs Monaten werden wir lernen, wie man lügt, täuscht und verführt. Wer weiß, was aus uns würde, wenn wir das nicht mehr auseinanderhalten können.«
»Aus uns?«, fragte Leila. Ihre Hände wurden langsamer.
Marchant stand auf, drehte sich um und sah sie an. Seine Augen suchten in ihren verzweifelt nach einer Antwort, die sie nicht geben konnte. Sie beugte sich vor und küsste ihn. Seine Lippen waren kalt, aber schon bald suchten sie beide nach Wärme, ehe sich Marchant zurückzog. »Tut mir leid«, sagte er und setzte sich wieder an den Schreibtisch. »Ich muss das heute Nacht fertig machen.«
»Du klingst gar nicht so entschlossen.«
»Bin ich auch nicht.«
»Soll ich gehen?«
»Nein. Bleib bitte. Du kannst schlafen.« Er deutete auf das Bett.
Zehn Minuten später hatte sie sich in seine alten Wolldecken eingewickelt und bemühte sich, die Kälte auszusperren, während er weiter über die Motive für Verrat las. Er hatte die Lampe nach unten gedrückt, um das Licht zu dämpfen. Sie fragte sich, ob der Lampenschirm, dicht an seiner Wange, Wärme ausstrahlte. Die Seeluft war eiskalt.
»Wieso hast du dich beworben?«, fragte er und sah in ihre Richtung. Sie brachte ein verschlafenes Lächeln zustande.
»Weil ich mich selbst beweisen muss, genauso wie du. Dein Vater ist der Boss, meine Mutter ist in Isfahan geboren.«
Später spürte sie, wie er ins Bett schlüpfte und sie Wärme suchend in die Arme
Weitere Kostenlose Bücher