Der Marathon-Killer: Thriller
Großbritannien geflohen, vertrieben von den Revolutionsgardisten, die keine Zeit hatten, sich mit nicht anerkannten religiösen Minderheiten zu befassen.
Leila kam in Hertfordshire zur Welt und wurde dort von ihrer Mutter aufgezogen, während ihr Vater an verschiedenen Orten in der Golfregion arbeitete. Gelegentlich gesellte sich seine Familie zu ihm. Zu ihren frühesten Kindheitserinnerungen gehörten fünfzig Grad Hitze in Doha. Als sie acht war, zogen sie gemeinsam für zwei Jahre nach
Houston. Solange die Ayatollahs an der Macht waren, bestand jedoch keine Chance, nach Teheran zurückzukehren, denn der Bahaismus wurde von dem islamischen Staat weiterhin verfolgt.
Auf Englisch berichtete sie weiter, dass sie sich in ihrem letzten Jahr in Oxford beim Geheimdienst beworben hatte, nachdem der Leiter ihres Colleges (Stephen Marchants Vorgänger auf dem Chefsessel des MI6) sie zum Abendessen eingeladen hatte. Sie befürchtete das Schlimmste und wollte nicht in eine Behörde eintreten, die ihren Nachwuchs noch immer bei einem Glas Amontillado-Sherry an den Eliteuniversitäten des Landes rekrutierte, aber sie war positiv überrascht: weil er nicht aufgeblasen wirkte und weil zum gleichen Abendessen vier weitere quirlige junge Leute eingeladen worden waren. Nur einer von ihnen war weiß, ein demografisches Verhältnis, das sich auch an jenem Tag im Fort in dem Raum voller Spionanwärter widerspiegelte. Es erinnerte sie an einen Besuch beim BBC World Service im Bush House.
»Da ich von Natur aus misstrauisch bin, habe ich nach dem Abendessen die ganze Nacht am Computer gesessen und die Website durchforstet, ob Menschen mit den verschiedensten kulturellen Hintergründen beim MI6 willkommen sind. Ich wusste, beim MI5 suchte man längst multiethnische Angehörige, doch den MI6 hielt ich für die letzte Bastion des weißen Mittelklassemannes im Safarianzug. Männern wie Daniel hier.« Gelächter erfüllte den Raum. »Natürlich gab es einen Haken, wie wir alle wissen: Man braucht mindestens einen britischen Elternteil. Glücklicherweise hatte meine Mutter schon immer eine Vorliebe für Engländer.« Wieder wurde gelacht. »Die
Sicherheitsüberprüfung hat allerdings ewig gedauert, findet ihr nicht? Meine Mutter haben sie wochenlang ausgequetscht. Wahrscheinlich, weil sie immer eine Wasserpfeife angeboten hat.«
»Waren Sie eigentlich mal wieder im Iran?«, fragte der Ausbilder. Er hatte als Einziger nicht gelacht.
»Mal wieder? Ich habe dort nie gelebt.«
»Es muss sich doch ein wenig wie Heimat anfühlen, oder?«, fuhr der Lehrer fort. Die lockere Atmosphäre machte abrupt Anspannung Platz.
»Ich war einmal da, in dem Jahr zwischen Schulabschluss und Studienbeginn«, erzählte sie und blickte dem Ausbilder in die Augen. »Ich schätze, jedem von uns wurde im ersten Gespräch die Frage gestellt, ob man irgendwann einmal jemanden zu etwas Illegalem überredet hat. Also, ich habe ihnen von meiner Reise in den Iran erzählt, wie ich an der turkmenischen Grenze einen Beamten überredet habe, mich zur Rosenernte nach Ghamsar fahren zu lassen, weil ich meine Doktorarbeit über Parfüm schreiben würde. Die Gärten waren wunderschön. Das werde ich niemals vergessen: Ganze Familien pflücken die Rosen im Morgendunst, wenn der Tau die duftenden Blütenblätter noch feucht hält.«
Marchant hatte sich als Nächster vorgestellt, und er wusste, er konnte Leila an Ausstrahlung nicht übertrumpfen. Ihr freches Lächeln, ihr sexy Auftreten, ihre bodenständige, weltmännische Stimme: eher cool als arrogant. Er erklärte, dass er im Ausland geboren worden und von einer Botschaft zur anderen um die Welt gezogen sei, bis man ihn im Alter von dreizehn auf ein Internat in Wiltshire geschickt hatte. Man habe ihm gesagt, er solle seinen Vater
ruhig erwähnen, der kürzlich den Chefposten übernommen hatte, und so scherzte er, die Stelle würde er gern in der Familie behalten. »Spione sind wie Unternehmer, da beerbt der Sohn den Vater«, fuhr er fort. »Und ich bin in guter Gesellschaft, wie ich finde. Kim Philbys Vater, St. John Philby, war ein ranghoher Angehöriger des Service.« Diesen dummen Scherz über den prominentesten Doppelagenten in der Geschichte des britischen Geheimdienstes hatte er später bereut.
»Nach Cambridge habe ich einige Jahre als armer Auslandskorrespondent für verschiedene britische Zeitungen aus Afrika berichtet und zu viel billigen Scotch getrunken. Meine besten Geschichten, darunter eine Titelstory über
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