Der Marathon-Killer: Thriller
Gaddafi, habe ich einem Bekannten im Hochkommissariat in Nairobi zu verdanken. Erst später fand ich heraus, dass er für den Nachrichtendienst in London arbeitete. Zu der Zeit war ich noch jung und naiv und begriff nicht, dass es seine Aufgabe war, den Medien Geschichten zu präsentieren, die für gute Publicity sorgten. Auf seinen Rat hin kehrte ich schließlich nach London zurück und bewarb mich.«
Er blickte sich unter seinen neuen Kollegen um und schätzte ab, wie ehrlich er sein sollte. Im Raum war peinliches Schweigen eingetreten. »Um die Wahrheit zu sagen, ging es mir gar nicht gut. Ich war orientierungslos. Pleite. Ihr wisst ja, wie Schreiberlinge so sind. Außerdem gab es einige persönliche Angelegenheiten, die ich klären musste.« Er hielt erneut inne und entschied, seinen Bruder nicht zu erwähnen. »Der Bursche vom Nachrichtendienst hat mich eines Nachts in der Innenstadt von Nairobi gefunden, völlig verwahrlost. Er hat mir gesagt,
ich solle mich nicht länger sträuben, sondern mich endlich bewerben. Ich wollte immer auf eigenen Beinen stehen und nicht auf meine Eltern angewiesen sein, vor allem auf meinen Vater, aber vermutlich waren die Gene am Ende doch zu stark.«
Leila kam zurück in das Schlafzimmer im sicheren Haus und hatte sich ein Handtuch wie einen Turban um das feuchte Haar gewickelt. »Kannst du dich noch an den ersten Tag im Fort erinnern, als wir aufstehen und uns vorstellen mussten?«, fragte Marchant und zog sich einen Baumwollbademantel über.
»Ja, wieso?«
»Wir haben niemals herausgefunden, wer gelogen hat.«
Am Ende der Vorstellungsrunde hatte ihr Ausbilder behauptet, die Lebensgeschichte einer Person im Raum sei vollkommen falsch. Sie hatten die Aufgabe bekommen, aufzuschreiben, wen sie verdächtigten und aus welchem Grund.
»Ich glaube, niemand«, sagte Leila. »Der Einzige, der an dem Tag gelogen hat, war dieser blöde Ausbilder.«
»Du also nicht?«, fragte Marchant.
»Ich? Hast du das etwa gedacht?«
»Angesichts dieser Bahai-Geschichte habe ich mich gewundert, dass sie dich eingestellt haben.«
»Ist aber zufällig die Wahrheit, du vorlauter Mistkerl«, sagte sie und küsste ihn auf die Stirn, während er auf dem Bett lag und ihr zuschaute, wie sie sich eine Unterhose anzog. »Meine Mutter ist eine erstaunliche Frau. Der einzige Grund, weshalb ich es nach Cambridge geschafft habe. Eigentlich fand ich diese Sicherheitsüberprüfung
sehr therapeutisch, denn ich musste all diese Fragen über sie beantworten und mich mit ihrem Bahai-Glauben und ihrer Loyalität Großbritannien gegenüber auseinandersetzen.«
»Hatten die Prüfer Vorbehalte?«
»Nicht, nachdem sie mit ihrer Untersuchung fertig waren. Schließlich lebte sie seit fünfundzwanzig Jahren in Großbritannien.«
»Du erzählst gar nichts mehr von ihr.«
Leila schwieg. Er erinnerte sich wieder an die Tränen und zog sie an der Hüfte sanft nach unten, bis sie neben ihm auf dem Bett saß.
»Was ist denn?«, fragte er leise.
»Nichts«, entgegnete sie und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
»Wegen des Marathons?«
»Nein. Ist schon okay.« Sie legte den Kopf auf seine Schulter, bemühte sich, die Beherrschung nicht zu verlieren, und suchte Trost in seiner Wärme.
Nur ein einziges Mal hatte Marchant Leila weinen sehen, und zwar am Anfang ihrer Ausbildung im Fort, als sie von einem Telefongespräch mit ihrer Mutter zurückgekommen war. Sie hatte nicht darüber reden wollen. Später hatte er das Thema wieder angesprochen, aber sie wollte immer noch nicht.
»Wegen deiner Mutter?«, fragte er. »Hast du in letzter Zeit mit ihr gesprochen?«
Leila verharrte in seiner Umarmung. Einmal hatte sie ihm erzählt, dass ihre Mutter häufig davon sprach, eines Tages in den Iran zurückzukehren. Sie wollte ihr Witwenleben im Kreis ihrer Familie und bei ihrem Volk führen,
und sie wollte sich um ihre alte Mutter kümmern. Aber Leila hatte ihr erklärt, für eine Bahai sei es zu gefährlich im Iran, solange die Angehörigen ihrer Religion dort systematisch verfolgt wurden.
Stattdessen war sie in ein Pflegeheim in Hertfordshire gekommen, nachdem sich die ersten Anzeichen von Alzheimer gezeigt hatten. Leila sagte, sie sei dort sehr unglücklich und beschwere sich, vom Personal schlecht behandelt zu werden, aber das nachzuweisen war unmöglich, und es ließ sich auch nicht feststellen, wie viel von den Erzählungen auf ihren verwirrten Geisteszustand zurückzuführen war. Marchant hatte Leila
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