Der Marktmacher
Augenblick erzählen, wer befreit werden soll. Gegenwärtig sind ein Dutzend Entführungsopfer in Rio und Umgebun g v ersteckt. Wenn also ein Polizist etwas verrät, weiß er nicht, auf wen wir es abgesehen haben. Und wenn er es erfährt, ist es zu spät.«
Schweigend fuhren wir weiter. Auf dem Rücksitz Euclides, der unserem Streit aufmerksam zuhörte, obwohl er kaum etwas verstand.
»Hören Sie«, sagte Nelson. »Ich weiß, wie Ihnen zumute ist. Aber wenn wir Isabel lassen, wo sie ist, wird sie wahrscheinlich umgebracht. Wenn die Polizei das Gebäude stürmt, um sie zu retten, hat sie eine bessere Chance. So einfach ist das. Wenn wir zurück sind, sprechen wir mit Luís , und dann rufe ich DaSilva an.«
Ich antwortete nicht. Ich wußte, er hatte recht. Was wir auch taten, wir konnten nicht ausschließen, daß Isabel getötet wurde. Daran gab es nichts zu deuteln. Ich konnte nur untätig warten, bis Luís die logischste Entscheidung traf: die Polizei einzuschalten.
Natürlich hatte das die ganze Zeit im Raum gestanden, während wir nach Isabel gesucht hatten. Stets waren wir von der unausgesprochenen Voraussetzung ausgegangen, daß wir sie befreien könnten, sobald wir sie gefunden hätten. Aus der Vorstellung, sie zu finden, hatten wir unsere Hoffnung gezogen. Jetzt, da wir wußten, wo sie war, und eine gewaltsame Befreiungsaktion unvermeidlich erschien, standen uns mit einem Mal die Risiken sehr konkret vor Augen.
Ich dachte an Ricardo und Eduardo und wurde von unbändiger Wut gepackt. Die beiden waren verantwortlich für diese Situation. Zusammen mit Francisco. Er hatte auch ein Kind. Was würde er wohl empfinden, wenn sein Sohn in diesem Bauernhaus säße und noch ein oder zwei Tage zu leben hätte?
Natürlich!
»Nelson, ich habe eine Idee.«
Er seufzte. »Schon wieder. Uns bleibt keine Zeit mehr für Ihre Ideen.«
»Nein, hören Sie zu. Diese wird funktionieren.«
NEUNUNDZWANZIG
W ir waren ein bunt zusammengewürfeltes Team. Cordelia saß in der Wohnung ihres Vaters am Telefon. Nelson, sein Partner Ronaldo, Euclides und ich hockten im Auto, genauer, in einem der beiden Wagen, die Nelson am Abend zuvor von einem ihm bekannten Autodieb gekauft hatte. Und Luís saß im Savoy Hotel in London und betete, daß wir Erfolg hatten. Nelson, Ronaldo und ich hatten Revolver. Euclides hatten wir unter der Bedingung mitgenommen, daß er seinen geliebten Revolver zu Hause ließ. Vie l leicht würde sich der Junge als nützlich erweisen.
Ich hatte noch nie eine Handfeuerwaffe bei mir getragen. Sie steckte unter einem weiten Sweatshirt im Gürtel meiner Jeans. Hart und schwer spürte ich sie am Körper. Zuerst war das Metall kalt gewesen, hatte sich aber unter dem Einfluß der Körpertemperatur erwärmt. Nelson hatte mir kurz gezeigt, wie man sie bedient, mir aber auch ans Herz gelegt, nur im äußersten Notfall zu schießen.
Ich hatte Angst. Jetzt stand nicht nur Isabels, sondern auch mein Leben auf dem Spiel. Gleichzeitig war ich aber auch wie elektrisiert. Zum erstenmal konnte ich handeln und durch mein Handeln zu ihrer Befreiung beitragen. Nelson wirkte kaltblütig und entschlossen. Ronaldo blickte stoisch vor sich hin. Er war mager, mit einem zerknitterten Gesicht und einem spärlichen Schnurrbart. Er war ein ehemaliger Kollege von Nelson bei der Polizei von Rio.
Den Wagen stellten wir in einiger Entfernung von Franciscos Villa ab. Es war keine sorgfältig geplante Aktion. Mußte es auch nicht sein. Entscheidend war nur, daß sie rasch über die Bühne ging. Wir brauchten unsere Identität nicht geheimzuhalten und keine Entdeckung zu fürchten. Es war nicht damit zu rechnen, daß die Polizei eingeschaltet werden würde. Aber wir mußten eine rasche Entsche i dung erzwingen.
Es war Dienstag morgen. Die Sonne stand noch so niedrig am brasilianischen Winterhimmel, daß sie lange Scha t ten über die Straße warf. Um halb sieben öffneten sich wie gewöhnlich die Torflügel vor Franciscos Haus und ließen einen kleinen grauen Renault heraus. Die Straße war wenig befahren. Trotzdem, irgend jemand würde das Geschehen sicherlich beobachten, aber Nelson war sich absolut sicher, daß der durchschnittliche brasilianische Autofahrer ei n fach weiterfahren würde.
Als der Renault nach links abbog und den Hügel hinunterfuhr, startete Nelson den Wagen und ließ ihn quer über die Straße schießen. Er krachte in den anderen Wagen hi n ein und schleuderte diesen gegen die Mauer. Beim Aufprall schnitt mir der
Weitere Kostenlose Bücher