Der Marktmacher
u n schlüssig, was zu tun sei. Euclides mühte sich, die Augen offenzuhalten. Seine Lippen bewegten sich. Ich beugte mich zu ihm hinunter, um ihn zu verstehen.
»Ich getroffen, Boß «, flüsterte er.
»Ja, du hast ihn getroffen«, sagte ich.
Ich drehte seinen schmächtigen Körper auf den Rücken und versuchte, mit seinem dünnen Hemd die Blutung zu stillen. Die Kugel hatte ein großes Loch in seine Brust g e rissen. Es war hoffnungslos. Binnen einer Minute war sein Leben im feuchten Gras versickert.
DREISSIG
I sabel kauerte neben mir im Fond des Wagens und blickte wie abwesend auf die Straße vor uns. Ronaldo fuhr uns zurück nach Rio und überließ es Nelson, Ordnung in das Chaos zu bringen, das wir zurückgelassen hatten.
Und es war ein ziemliches Chaos. Nelson und ich hatten beschlossen, Francisco und seinen Sohn laufen zu lassen. Schließlich hatten wir ihm das versprochen, als wir Isabels Austausch ausgehandelt hatten, und er hatte seinen Teil der Abmachung eingehalten. Zico war im letzten Augenblick hinter Isabel hergelaufen. Außerdem hätte der Versuch, Francisco für die Entführung verantwortlich zu machen, erhebliche Schwierigkeiten mit den Behörden bedeutet. Wir hielten es für das beste, die Angelegenheit so diskret wie möglich aus der Welt zu schaffen. Allerdings hatte Ne l son versprochen, Euclides ’ Leichnam mitzubringen, damit er richtig bestattet werden konnte.
Trotz der Strapazen, die sie hinter sich hatte, sah Isabel nicht allzu mitgenommen aus. Sie war etwas abgemagert. Aber das fiel kaum auf. Etwas blasser war sie. Wahrscheinlich, weil sie wochenlang keine Sonne gesehen hatte. Und sie wirkte etwas zerbrechlicher. Im großen und ganzen aber schien sie unversehrt zu sein.
»Alles in Ordnung mit dir?« fragte ich.
Sie sah mich an, lächelte und griff nach meiner Hand.
»Ich bin okay«, sagte sie. »Und überglücklich, daß ich endlich frei bin.«
Es gab soviel zu sagen, soviel zu fragen, aber ich wollte ihr Zeit lassen und hielt den Mund.
»Wo ist mein Vater?« fragte sie.
»In London.«
»In London?« Sie hob die Augenbrauen.
»Ja, es ist eine lange Geschichte. Aber Cordelia wartet in der Wohnung.«
»Wie geht es ihr? Ich meine …«
Ich lächelte. »Keine Sorge, es geht ihr gut. Sie wird jeden Tag voluminöser.«
Isabel lächelte. »Gut.« Und nach einer kleinen Pause: »Hat er ein Lösegeld bezahlt?«
»Auch das ist eine lange Geschichte.«
»Erzähl sie mir!«
»Das hat Zeit bis später, wenn du dich ein bißchen ausgeruht hast.«
»Nein, erzähl sie mir jetzt. Das waren nämlich meine Gedanken während der letzten zwei Monate : Was geschieht zu Hause? Also, erzähl schon!«
Ich ließ kein Detail aus. Von den ersten Lösegeldforderungen, der langen Funkstille nach der gescheiterten Polizeiaktion und von den veränderten Forderungen, nachdem ich Bloomfield Weiss vorgeschlagen hatte, Dekker Ward zu übernehmen. Ich berichtete ihr auch von meiner Verm u tung, daß Ricardo und Eduardo sich zunächst mit Franci s co geeinigt hatten, Martin Beldecos umbringen zu lassen, und dann unsere Entführung inszeniert hatten, um die Entde ck ung von Franciscos Geldwäsche zu verhindern. Auch die Entführung von Franciscos Sohn verschwieg ich nicht.
Mit wachsendem Erstaunen hatte sie zugehört. »Also steckt Ricardo hinter allem?« fragte sie ruhig.
Ich nickte: »Ich fürchte, ja.«
Sie blickte zum Fenster hinaus, wo Rios Vororte langsam vorbeiglitten. »Dieser Mistkerl!« flüsterte sie leise. Dann blickte sie mich an. »Es sieht so aus, als hättest du ihn ric h tig eingeschätzt.«
»Im Augenblick ist es mir ziemlich egal, wer recht ode r u nrecht hat«, sagte ich. »Ich freue mich einfach, daß du lebst.«
Sie drückte mir die Hand. »Danke. Danke für alles, was du für mich getan hast.«
Als wir die Wohnung erreichten, gab es kein Halten mehr. Cordelia drückte ihre Schwester lange und innig an sich. Maria tanzte vor Freude und war ganz außer sich. Und auch Fernando war da. Der Freudentaumel riß Isabel aus ihrer Lethargie, in die sie nach ihrer Befreiung gefallen war. Sie wurde lebhafter. Minuten später telefonierte sie bereits mit Luís im Savoy in London. Tränen flossen, und die portugiesischen Worte sprudelten mit einem wahnwitzigen Tempo hervor. Ich betrachtete das Ganze mit einem z u friedenen Lächeln.
Der Wermutstropfen war Euclides. Die Nachricht von seinem Tod hatte Cordelia sehr erschüttert. Auch mir war das Herz schwer. Am wenigsten wäre wohl der
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