Der Marktmacher
Junge selbst überrascht gewesen. Ich nehme an, er hatte nie damit g e rechnet, sehr alt zu werden. Cordelia hatte recht, er war ein tapferer Bursche gewesen. Er hatte töricht gehandelt, als er Nelsons Waffe mitnahm und versuchte, Zico zu erwischen. Aber er war erst zwölf. Wie sollte man ihm einen Vorwurf daraus machen? Er hatte versucht, Cordelias Schwester zu retten und uns zu imponieren. Er war mit der Waffe in der Hand gestorben, nachdem er gerade einen üblen Burschen umgelegt hatte. In Euclides ’ Vorstellungswelt war das sicherlich ein guter Abgang. In Wirklichkeit war es ein vergeudetes Leben; ein Leben und ein Tod, an deren Sinnl o sigkeit wir alle schuld waren: die brasilianische Regierung und die brasilianische Mittelschicht, die soviel Armut und Gewalttätigkeit zuließen, und, konkreter, Nelson, Cordelia und ich, die wir ihn bewaffnet und zu seinem letzten Abenteuer ermutigt hatten. Ich werde Euclides nie verge s sen.
Isabel nahm ein langes Bad und berichtete uns dann von ihrer Gefangenschaft. Man habe gut für sie gesorgt. Die e r sten zwei Wochen hätte man sie in einem Zelt in einem Kellergeschoß gefangengehalten. Dann sei sie überstürzt in die Kate verfrachtet worden. Dort sei sie in einen Schuppen gesteckt und das einzige Fenster zugenagelt worden. Es sei warm und hell gewesen in ihrem Gefängnis, und sie hätte ausreichend zu essen und zu trinken bekommen. Einmal am Tag sei es ihr gestattet worden, sich zu waschen. Außerdem hätte man ihr ein Radio, Bücher und Zeitungen zur Verfügung gestellt. Ihre Entführer hätten stets Masken getragen, bis auf den letzten Tag, als sie Zico zu sehen b e kam. Aber sie hätte schnell gelernt, sie an den Stimmen zu unterscheiden. Offenbar hatte es fünf Entführer gegeben, die sie im Wechsel bewacht hatten.
Gleich zu Beginn sei sie zu der Erkenntnis gelangt, daß sie nur dann eine Chance zum Überleben hatte, wenn sie mit ihren Kidnappern kooperierte. Oft habe sie diese nach Fortschritten in den Verhandlungen gefragt, aber auf ihre Fragen nie eine Antwort bekommen. Daß es überhaupt eine Kommunikation mit ihrem Vater gab, hatte sie nur der Frage entnommen, die sie beantworten mußte, damit die Entführer beweisen konnten, daß sie noch am Leben war. Bei der ersten, der Frage nach dem Namen ihres Liebling s teddys, hatte sie lächeln müssen. Sie sei typisch gewesen für die Sentimentalität ihres Vaters, und sie erinnerte sie an die Geborgenheit ihrer Kindheit.
Doch sie hätte nie die Ruhe verloren. Sie wußte, daß Entführungen sich über Monate hinziehen konnten, und ihr war klar, daß ihr Vater eine Möglichkeit finden würde, das Lösegeld zu zahlen. Offenbar hatte sie sich weit wen i ger Sorgen um ihr Leben gemacht als wir.
Das alles erzählte sie uns in einer Mischung aus Englisch, meinetwegen, und Portugiesisch, Marias wegen. Doch als sie ihre Geschichte beendet hatte und die anderen sie mit einem Trommelfeuer von Fragen bestürmten, zog ich mich zurück. Schließlich gehörte ich trotz der langen Zeit, die ic h m it diesen Menschen verbracht hatte, nicht wirklich zur Familie. Ich griff mir eine Flasche Bier, verzog mich auf den Balkon und betrachtete den Sonnenunte r gang, glücklich, daß Isabel endlich frei war.
Als mich eine Hand an der Schulter berührte, blickte ich auf.
»Hallo«, sagte Isabel.
»Hi.«
Sie beugte sich herab und küßte mich. Ihr Haar fiel mir ins Gesicht. Dann richtete sie sich auf und blickte aufs Meer hinaus. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, das alles wiederzusehen«, sagte sie, »das Meer, diese Aussicht, meine Leute.« Pause. »Dich.«
Ein Glücksschauer durchlief mich. Diese Worte hatte ich die ganze Zeit über herbeigesehnt. Ich umfaßte sie und zog sie zu mir herab, um sie zu küssen.
Schließlich löste sie sich von mir. »Was wirst du jetzt machen?« fragte sie.
»Weiß ich nicht. Ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht.« Das hatte ich tatsächlich noch nicht. Über Isabels Befreiung hatten meine Pläne nicht hinausgereicht.
»Will Papai wirklich Dekker Ward übernehmen?« fragte sie.
»Das werden wir bald wissen. Die Versteigerung ist morgen nachmittag. Entschieden wird die Angelegenheit zwischen ihm und Bloomfield Weiss.«
»Ricardo hat am Ende also doch verloren? Ich kann noch immer nicht glauben, daß er mir das angetan hat. Mich hat entführen lassen. Gewiß, unsere Beziehung war vorbei, aber ich habe immer gedacht, daß ich ihm noch etwas bedeute.«
»Du weißt doch,
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