Der Marktmacher
und trank ein Glas Whisky mit ihm, wie wir es schon so oft getan hatten. Irgendwie erschien es mir völlig absurd, daß wir dabei über Geldwäsche, Entführung und Mord redeten. Noch vor drei Monaten hatte mir dieser Teil von Jamies Leben, das, was er von morgens um sieben bis acht Uhr abends in der City tat, nicht das Geringste gesagt. Jetzt wußte ich Bescheid.
»Warum?« fragte ich.
»Was meinst du mit › Warum ‹ ?«
»Warum hast du das alles getan?«
Jamie seufzte. Er stand auf und füllte erneut sein Glas. Den kleinen, in der Flasche verbliebenen Rest kippte er mir ins Glas.
»Eines kam zum anderen. Als Luciana mir erzählte, Francisco wolle ohne Ricardos Wissen ein Konto eröffnen , schien mir das eine gute Idee zu sein. Natürlich ahnte ich, woher das Geld stammte, aber was scherte mich das groß? Es war ein neues Geschäft, ein Geschäft, das ich ohne Ricardos Zutun an Land gezogen haben würde. Und es erwies sich in der Folgezeit als äußerst lukrativ. Du hast ges e hen, was für ein Volumen Alejos Transaktionen hatten. Wir waren so erfolgreich, daß Francisco mit immer größ e ren Summen ankam. Natürlich habe ich ihn nicht gefragt, woher er es hatte.«
Wahrscheinlich die Kontakte nach Kolumbien und Venezuela, von denen Luís gerüchteweise gehört hatte.
»Und ich habe nicht verstanden, warum Ricardo keine Geschäfte mit Francisco machen wollte. Ich meine, Ricardo verdankt seine Erfolge dem Umstand, daß er sich über vi e le Regeln hinwegsetzt. Mir erschien es töricht, mit jema n dem nur deshalb keine Geschäfte zu machen, weil er einen schlechten Ruf hat. In diesem Geschäft kann man es sich einfach nicht leisten, so wählerisch zu sein.«
»Wirklich nicht?« Mir schien, daß Ricardo hier, wie auch in vielen anderen Dingen, wußte, wann es galt, etwas wählerischer zu sein.
Jamie zuckte mit den Achseln. »Klar, du hast recht. Ich habe einen Fehler gemacht. Damals kam mir alles kinderleicht vor. Dekker Wards Struktur ist darauf angelegt, Rev i soren und Prüfer hinters Licht zu führen. Wenn dieser blöde Beldecos nicht gekommen wäre, hätte es überhaupt keine Probleme gegeben.«
Jamie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Sein Gesicht wirkte erschöpft und seine Augen leer. »Und dann ging alles schief. Vor allem, als ich es Francisco überließ … sich um Martin zu kümmern. Da ging es gründlich in die H o se.«
Das Leben war aus seinem Blick gewichen. »Weißt du, es war unheimlich. Als würde ich zwei vollkommen verschiedene Leben führen. Die meiste Zeit über arbeitete ich völlig normal, unterhielt mich mit dir, war mit Kate und Oliver zusammen und benahm mich wie jeder halbwegs vernünftige Investmentbanker. Aber gleichzeitig hatte ich diese andere Geschichte laufen, die jederzeit auffliegen konnte, sich aber immer wieder einrenkte. Bis heute.«
»Bis heute.«
»Was wirst du tun, Nick?«
Er sah mich an, flehend, wußte aber offenbar selbst nicht, worum er eigentlich flehte. Um einen Ausweg vermutlich, den Ausweg, den er selbst nicht mehr gefunden hatte.
»Ich weiß nicht.« Ich wußte es wirklich nicht. Es gab einfach zuviel, was ich überhaupt erst einmal verarbeiten mußte.
Schweigend saßen wir uns gegenüber. Er blickte mich unverwandt an. Seine Augen verrieten die Gefühle, die in ihm tobten: Gewissensbisse, Wut, Angst, Einsamkeit, Selbstmitleid. Das alles gewann durch den Alkohol noch zusät z lich an Schärfe.
»Ich muß pissen«, sagte er und erhob sich mühsam.
Ich wartete auf ihn. Im Haus war es still. Draußen ließ sich von Zeit zu Zeit das Käuzchen hören. Auf dem Kaminsims tickte eine Uhr. Ich rührte mich nicht von der Stelle und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Wie ha t te Jamie, der in all diesen Jahren ein so guter Freund gew e sen war, das alles tun können? Mir so etwas antun können? Sich selbst? Es war einfach absurd. Unglaublich.
Langsam nahm ein Gedanke Form an, der mich wie ein kalter Eishauch anwehte und körperlich erschauern ließ. Es war nicht absurd. Es war wirklich und wahrhaftig geschehen. Wer Jamie kannte, wie ich es tat, hätte es kommen sehen müssen. Jamie war ehrgeizig und risikofreudig. Bis jetzt war alles immer gutgegangen. Er war charmant, intelligent und fleißig. Die Wahrscheinlichkeit arbeitete für ihn. Er hatte Glück gehabt. Wenn er eine glückliche Hand mit Franciscos Konto und anderen, ähnlichen Konten gehabt hätte, wer weiß, vielleicht hätte er eines Tages seine eigene Firm a o der den Millionenbonus gehabt? Oder
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