Der Marktmacher
Ricardo grinste. Wir waren verwandte Seelen. Selten stieß ich auf jemanden, der mit so wenig Schlaf au s kam wie ich. Irgendwie war es tröstlich. Ich war daran g e wöhnt, bis in die frühen Morgenstunden aufzubleiben und zu lese n o der zu arbeiten. Fünf Stunden Schlaf, mehr hatte ich nicht nötig. Vor allem, wenn mich etwas interessierte.
»Sehen Sie zu, daß Sie auf Ihr Fahrrad kommen«, sagte er.
Das tat ich und trat kräftig in die Pedalen, wobei meine Gefühle sich zwischen Hangen und Bangen bewegten – der Furcht, daß meine erste Bond-Position in die Hosen gehen könnte, und der Hoffnung, daß sie ein Glücksgriff war.
VIER
D er Mittwochmorgen war neblig. Ich konnte den Tower nicht sehen, als ich durch Eastend radelte. Zu beiden Seiten der Narrow Street ragten alte Speicher auf. Londons kühne Skyline hatte der Nebel verschluckt, so daß ich mir einbilden konnte, durchs viktorianische England zu fahren, bis ein Lieferwagen eine rote Ampel überfuhr und mich u n sanft auf den Boden der Tatsachen – oder besser, des Str a ßenpflasters – zurückholte.
Doch der Börsensaal war von blauem Himmel umgeben. Es zog mich ans Fenster. Wir befanden uns unmittelbar über dem Nebel, einer wogenden weißen Fläche, so weit das Auge reichte. Einige Kilometer weiter ragte der Turm von Nat -W est aus dem milchigen Meer. Wir selbst waren eine Insel, weit von England entfernt, viel näher an New York und Buenos Aires als an Primrose Hill und Sh o reditch. Ich sah mich nach meinen Kollegen um. Eine kleine Gruppe von Kolonisten, Einwanderer aus aller Welt, die aufgebrochen waren, um in diesem fremden neuen Land ihr Glück zu suchen.
Das war alles sehr hübsch, aber wie standen die Argy Discos?
Ich schaltete Jamies Bildschirm ein. Der Geldkurs lag bei siebenundsechzigeinviertel. Ich war nicht im Geld. Der übrige Markt war um einen Punkt nach oben gegangen und hatte meine Anleihen hinter sich gelassen. Mist, hatte ich etwa doch aufs falsche Pferd gesetzt?
Jamie war an diesem Morgen nicht da. Er hatte eine Präsentation bei einer großen Versicherungsgesellschaft, di e d aran dachte, in Anleihen von Schwellenländern zu investieren. Es war ein wichtiges Treffen. Oder wie Jamie gesagt hatte: »Wenn diese Jungs etwas anfassen, dann nur in gr o ßem Stil.« Daher brachte ich den Morgen an meinem Schreibtisch zu.
Nur, daß ich nicht das Gefühl hatte, es sei mein Schreibtisch. Er gehörte Martin Beldecos. Zu behaupten, daß mich sein Geist heimsuchte, wäre etwas übertrieben. Aber ich konnte mich doch nicht ganz des Gefühls erwehren, er sei anwesend, obwohl ich ihm nie begegnet war, noch nicht einmal wußte, wie er ausgesehen hatte. Ein Schreibtisch ist ein sehr privater Ort, in einem Börsensaal das einzige Stück Privatsphäre, eine winzige Insel der Geborgenheit. Und nun hatte ich das Gefühl, unrechtmäßig von dem Te r ritorium eines anderen Besitz zu ergreifen. Kein sehr ang e nehmes Gefühl.
Plötzlich erwachte das Faxgerät hinter mir zum Leben. Meistens waren die Faxe für Isabel, aber die war gerade wieder in eines ihrer endlosen Telefongespräche vertieft, daher ging ich zum Gerät und entnahm ihm die zwei Blatt Papier, die ausgedruckt worden waren.
Sie waren an Martin Beldecos gerichtet. Von der United Bank of Canada. Meine Neugier gewann die Oberhand. Ich nahm das Fax mit zu meinem Schreibtisch – Martins Schreibtisch – und begann zu lesen.
S ehr geehrter Mr. Beldecos,
d a Sie kürzlich anfragten, wer das Nutzungsrecht an der International Trading and Transport (Panama) besitzt, sind Sie vielleicht an den Ergebnissen interessiert, die unlängst eine Prüfung erbrachte.
Vielleicht erinnern Sie sich, daß der einzige Name, der im Zusammenhang mit International Trading and Transport (Panama) in unseren Unterlagen auftauchte, Mr. Tony Hempel war, ein Anwalt in Miami. Bei der Prüfung eines anderen u n serer Kunden ergab sich, daß Mr. Hempel enge Verbindung zu Francisco Aragão unterhält, einem brasilianischen Finanzier, der bei der DEA im Verdacht steht, an der Geldwäsche von Drogengewinnen beteiligt zu sein.
Einerseits unternehmen wir alle Anstrengungen, den internationalen Behörden bei der Verfolgung von Geldwäsche und Drogenkriminalität zu helfen, andererseits sind wir zur Vertraulichkeit gegenüber unseren Kunden verpflichtet. Daher haben wir die Ergebnisse unserer Prüfung noch nicht an die DEA weitergeleitet. Doch wenn Sie Informationen haben, die Sie dieser Behörde zukommen lassen
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