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Der Marktmacher

Der Marktmacher

Titel: Der Marktmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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der Sowjetunion gelebt. Danach war es ziemlich schwierig, Sozialist zu bleiben. Am Ende habe ich mich nicht mehr darum gekümmert und lieber Bücher gelesen.«
    »Ich fand es faszinierend, wie Sie sich mit meinem Vater über Literatur unterhalten haben«, sagte Isabel. »Ich meine, ich lese auch gern, aber Sie haben eine ausgespr o chene Liebesbeziehung zu Büchern. Genau wie Papai.«
    »Stimmt, ich liebe die Literatur. Besonders die russische. Sie scheint direkt zur Seele zu sprechen. Wirtschaftswissenschaft ist doch nur bullshit . Alles dreht sich ums Geld, und die richtigen Antworten kennt sowieso niemand. Doch wenn ich ein Gedicht von Puschkin lese, dann habe ich das Gefühl, eine tiefere Wahrheit über den Menschen zu erfahren. Und ich kann dieses Gedicht wieder und wieder lesen, und jedesmal finde ich etwas Neues in ihm.«
    Ich habe schon immer leidenschaftlich gern gelesen. Als Kind hatte ich Freunde genug, mit denen ich draußen hätte spielen können, aber zu Hause gab es niemanden. So habe ich zu lesen angefangen. Es wurde rasch mehr als nur ein Zeitvertreib oder die Flucht in eine Phantasiewelt. Bücher wurden für mich Zuflucht, Familie und Zuhause.
    Ein Kellner tauchte an Isabels Seite auf. Sie bestellte.
    »Aber was um Himmels willen tun Sie dann bei Dekker?«
    Ich lächelte. »Ich brauche das Geld. Und ich möchte wi s sen, ob ich es kann. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will nicht den Rest meines Lebens in der City verbringen. Nur ein paar Jahre. Lange genug, um einen Haufen Geld zu verdienen. Und dann gehe ich wieder zurück, um zu le h ren und zu lesen.«
    »Und Sie glauben, Sie schaffen das?«
    »Ich denke schon. Was glauben Sie?«
    Isabel sah mich einen Augenblick prüfend an. »Vielleicht. Aber ich bin nicht sicher, ob Sie das wollen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Nun ja, Sie sind intelligent, Sie haben eine unglaublich gute Auffassungsgabe, und Sie können ausgezeichnet mit Menschen umgehen. Aber um im Geschäftsleben Erfolg zu haben, braucht man noch ein bißchen mehr – Killerinstinkt. Und ich bin mir nicht sicher, ob Sie den haben.«
    Das hatte gesessen, denn es deckte sich mit der Befürchtung, die ich selbst hegte; aber ich war wild entschlossen, sie zu widerlegen.
    »Glauben Sie mir, wenn ich etwas will, dann schaffe ich es auch«, sagte ich. Es sollte eine entschlossene Festste l lung werden, kam aber eher kläglich heraus.
    Einmal mehr zuckte es in Isabels Mundwinkeln. Spott lag in ihren Augen. »Sie sind viel zu nett für dieses Spiel.«
    »Grrr. Bestellen Sie den Fisch ab. Ich will ein rohes Steak.«
    Isabel schüttelte den Kopf. »Das überzeugt mich nicht.«
    »Und was ist mit Ihnen? Wie viele Regierungsvertreter verspeisen Sie zum Frühstück?«
    »Ich überrasche mich manchmal selbst. Und die Regierungsvertreter.«
    »Aber wie sind Sie in das Geschäft gekommen? Schließlich ist Dekker Ward nicht der World Development Fund, oder?«
    »Sie haben recht. Im Anschluß an mein Studium hier an der Universität in Rio habe ich Development Economi c s in den Vereinigten Staaten studiert. An der Columbia University. Und ich bin wohl zu ganz ähnlichen Schlußfolgeru n gen wie Sie gekommen. Es gab zu wenig, was ich bew e gen konnte.«
    »Aber warum dann das Bankwesen? War das nicht die totale Kapitulation?«
    »Es hatte mit meinem Vater zu tun.«
    »Er hat Sie gedrängt, in das Familienunternehmen einzutreten?«
    »Ganz im Gegenteil. Gewiß, wenn ich ein Sohn gewesen wäre, dann hätte es anders ausgesehen. Bestimmt hat sich Papai immer einen Sohn gewünscht, aber meine Mutter starb, bevor sie ihm einen schenken konnte.«
    Ich hatte mich schon gefragt, was mit Isabels Mutter war, mich aber gescheut zu fragen. »Das tut mir sehr leid«, sagte ich.
    Isabel zuckte mit den Achseln. »Ich war zwei. Es wäre s i cher sehr schön gewesen, sie kennenzulernen, aber …« Einen Augenblick lang blickten ihre Augen ins Leere. »Verzeihen Sie. Jedenfalls war ich ein Mädchen, und Mädchen aus der Gesellschaftsschicht meines Vaters heiraten junge Männer aus gutem Hause, bevor sie fünfundzwanzig sind. Ausbildung ist okay, vielleicht auch ein oder zwei Jahre e i ne hübsche kleine Stellung, aber bloß keine richtige Beruf s tätigkeit.
    In den Staaten erlebte ich Frauen, die es in den verschiedensten Berufen zu etwas brachten. Sie wurden Anwälti n nen, Banker, Ärztinnen. Aber für mich kam das nicht in Frage. Von mir wurde anderes erwartet. Und dann fand ich heraus, daß sich der Mann, den ich

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