Der Marktmacher
da an wurde es wirklich zuviel. Vier Jahre später war er tot. Am Ende hat er uns nur sehr wenig hinterlassen. Wir haben es aus eigener Kraft geschafft, darauf bin ich stolz.«
»Haben Sie viel von ihm gelernt?«
»Um ehrlich zu sein, nein. Im Grunde haben wir nicht viel von ihm gesehen. Ständig war er in Geschäften unterwegs, und ich bin in England zur Schule gegangen. Aber ich denke, ich habe den Instinkt fürs Geschäft von ihm g e erbt. Ich hoffe nur, daß ich im Unterschied zu ihm weiß, wann ich mich übernehme.«
»Dann messen Sie sich mit ihm?«
Ricardo dachte einen Augenblick lang nach. »In gewisser W eise, ja. Ich hätte mich gefreut, wenn er noch ges e he n h ätte, was ich erreicht habe. Er hat mich nie viel gelobt, als er noch lebte, vielleicht würde er es heute tun.«
»Und Ihre Mutter?«
»Oh, ich glaube nicht, daß meine Mutter weiß, was ich mache, oder sich darum kümmert. Hauptsache, ich kümmere mich ausreichend um ihr Konto.«
»Und was ist mit Eduardo? Schlägt er auch nach Ihrem Vater?«
Ricardo lächelte etwas wehmütig. »Eduardo hat ganz andere Eigenschaften von ihm geerbt.«
Ich hätte gar zu gern gewußt, was das für welche waren, aber etwas in seiner Stimme sagte mir, daß ich weit genug gegangen war. Ricardo war ein faszinierender Mensch, und ich fühlte mich geschmeichelt, daß er sich auf ein so persönliches Gespräch mit mir eingelassen hatte. Oder war seine Offenheit nur eine raffinierte Form der Manip u lation? Falls ja, dann mußte ich zugeben, daß sie funkti o nierte.
Ricardo stellte sein Glas ab und wandte sich mir zu. »Hören Sie, ich weiß, daß Sie nur schwer akzeptieren können, was Sie heute erlebt haben. Ich weiß auch, daß Sie das, was wir tun, grundsätzlich in Frage stellen. Und ich respektiere das. Ehrlich. Mir sind Leute lieber, die Grundsätze in Frage stellen, als Leute, die blindlings tun, was alle tun. Also de n ken Sie darüber nach. Aber bilden Sie sich nicht ein, daß Sie bei uns arbeiten, die Vorteile mitnehmen und sich vor den unangenehmen Entscheidungen drücken kö n nen.«
Ich zwang mich, seinem Blick standzuhalten. Aufrichtigkeit lag in seinen blauen Augen. Ich wußte, er glaubte an das, was er sagte. Und diese Augen waren werbend, b e schwörend, fast hypnotisch. Komm zu uns, schienen sie zu sagen.
»Ich möchte, daß Sie für Dekker Ward arbeiten. Bei uns tummeln Sie sich auf dem spannendsten Finanzmarkt, den es augenblicklich gibt, und Sie werden eine Menge Spaß dabei haben. Ich glaube, Sie könnten sehr nützlich für uns sein. Aber es muß Ihnen Ernst sein. Wenn Sie nich t ü berzeugt sind von dem, was wir machen, dann gehen Sie zurück zu Ihren russischen Büchern. Sie müssen sich en t scheiden.«
Ich mußte unwillkürlich schlucken. Ich erinnerte mich daran, daß ich das ganze Dilemma bereits durchgespielt hatte, als es darum ging, ob ich bei Dekker Ward anfangen sollte oder nicht. Mir war klar, daß ich in dem Job nur Erfolg haben konnte, wenn ich die ethischen Grundsätze des Systems akzeptierte. Und die waren nicht unmoralisch, sondern nur amoralisch. Ricardo hatte schon recht, an Brasiliens Problemen waren die Brasilianer selbst schuld. Das gleiche ließ sich über Rußland sagen, das ebenso riesig und chaotisch war. Isabels Vater war von Tolstois Herr und Knecht begeistert, und der Edelmut dieser Erzählung war in der Tat reizvoll. Aber es war unvernünftig von dem Herrn, trotz des Schnees weiterzureiten, statt abzuwarten, bis sich der Sturm gelegt hatte. Außerdem opfern sich in der wirklichen Welt die Herren nicht für ihre Knechte.
Dann dachte ich an Cordelia und den nervösen kleinen Jungen mit dem breiten Lächeln und den harten Augen. Ich wandte Ricardo den Rücken zu und blickte in den dunklen Himmel über dem Atlantik.
NEUN
A ls ich spät am Freitag morgen ins Büro kam, wurde ich herzlich begrüßt. Dave, Miguel, Pedro, Charlotte, Leute, die ich kaum kannte, kamen herüber, um sich zu erkundigen, wie es mir ging. Obwohl ich noch keine zwei Wochen bei Dekker Ward war und davon kaum drei Tage im Büro verbracht hatte, behandelten sie mich wie einen der Ihren. Ich muß zugeben, es war ein angenehmes G e fühl.
Am Vortag war das Flugzeug um die Mittagszeit gelandet, aber im Unterschied zu Isabel und Ricardo, die sofort in die Firma gefahren waren, hatte ich mich nach Hause verdrückt. Am nächsten Morgen hatte ich dann zunächst meine Hausärztin aufgesucht. Sie zeigte sich beeindruckt von der Arbeit ihres
Weitere Kostenlose Bücher