Der Marktmacher
in irgendeinem anderen Land«, e r widerte Ricardo ruhig. »In den letzten hundert Jahren hat Brasilien den gleichen Zugang zu Kapital, Rohstoffen und Arbeitskräften gehabt wie Kanada und die Vereinigten Staaten. Daß es heute viel ärmer ist, liegt ausschließlich an den Brasilianern und ihrer Entscheidung, ihre Ressourcen so und nicht anders zu benutzen oder zu verschwenden. Ich bin nicht daran schuld.«
Ich unternahm keinerlei Versuch, meine Skepsis zu verbergen.
»Ich bin nur für den Erfolg von Dekker Ward verantwortlich«, fuhr er fort. »Ich habe die Firma zu einer der erfolgreichsten Investmentbanken der Welt gemacht, doch in dem Augenblick, wo ich mich auf meinen Lorbeeren au s ruhe, wo ich anderen die Initiative überlasse, ist alles vo r bei. Natürlich tun wir alle so, als sei es ein freundlicher, friedlicher Markt und als seien all die anderen Mitspieler damit zufrieden, daß wir das Heft in der Hand haben. Aber wir könnten ihnen keinen größeren Gefallen tun, als zu straucheln. Gar zu gern würden sie uns den Markt abjagen. Meine größte Sorge ist, daß wir selbstzufrieden werden könnten.«
Seine blauen Augen bohrten sich in meine. »Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo man eine härtere Gangart einschlagen muß. Bloomfield Weiss hätte uns das Geschäft nicht auf diese Weise abspenstig machen dürfen. Sie haben mit der harten Gangart angefangen. Ich habe ihnen und allen anderen nur gezeigt, daß ich bereit bin, eine noch härtere zu gehen. «
»Und was ist mit den Kindern in den Favelas ? «
»Wenn die Favela-Bairro-Idee so gut ist, wie wir glauben, dann wird sie irgendwann finanziert werden. Und denken Sie daran, Dekker Ward hat das internationale Kapital zu einem Zeitpunkt nach Lateinamerika gebracht, als niemand mehr an die Region glaubte. Mehr als zwanzig Milliarden Dollar haben wir für die Leute hier organisiert. Und die werden jetzt vernünftig verwendet – für Arbeitsplätze und Infrastrukturen.«
Er sah den Zweifel in meinen Augen.
»Okay, ich will nicht behaupten, daß das der Hauptgrund ist, warum ich Dekker Ward zu dem gemacht habe, was es heute darstellt. Aber es ist ein wichtiges Ergebnis dessen, was wir geleistet haben, und ich bin stolz darauf.«
»Und was ist mit all dem Geld, das Sie verdienen?«
»Hören Sie auf, Nick! Sie selbst haben mir gesagt, daß Sie aus genau diesem Grund bei uns anfangen wollten.«
»Ja, aber …«
»Aber was?«
»Ich will mit dem Geld etwas anfangen. Mir die Freiheit erwerben, mit meinem Leben zu machen, wonach mir der Sinn steht.«
»Und?«
»Und …« Ich zögerte und suchte nach den richtigen Worten. »Ich habe das Gefühl, daß in Firmen wie Dekker Ward das Geld zum bloßen Selbstzweck wird.«
Ricardo rieb sich das Kinn. »Ich weiß, was Sie meinen. Aber der Schein trügt ein wenig. Ich sage immer, ich schä t ze Mitarbeiter, die hungrig sind, Leute, die auf das Geld angewiesen sind. Dann verdienen sie auch Geld für die Firma, und die Firma wächst. Und das ist gut so. Aber ich glaube nicht, daß es wirklich Gier ist.«
»Was dann?«
»Geld, das ist nur die Punktzahl, die man erzielen kann. Ich nehme an, ich will die höchste Punktzahl haben, wenn alles vorbei ist.«
»Und wann ist das?«
Ricardo lächelte. »Gute Frage. Ich weiß es nicht. Ich glaube, für mich ist das ein Spiel ohne Ende.«
Wir schwiegen einen Augenblick und dachten über das Gehörte nach, vermutlich beide überrascht, wie persönlich das Gespräch plötzlich geworden war. Ich erinnerte mich an das T-Shirt, das ich in der Favela gesehen hatte: Wer mit dem meisten Spielzeug stirbt, hat gewonnen. Ricardos Spiel wurde auf der ganzen Welt gespielt, von arm und reich.
Er winkte eine Stewardeß heran und bestellte einen Cognac. Ich ließ mir einen Whisky bringen. Beide lehnten wir uns in den bequemen Sitzen der ersten Klasse zurück und nippten an unseren Getränken.
»Mein Vater hat wenig Glück bei diesem Spiel gehabt«, sagte Ricardo.
»Jamie erzählte mir, er ist Geschäftsmann in Venezuela?«
»War. Er ist seit fünfzehn Jahren tot.«
»Das tut mir leid.«
»Er war auch Börsianer, in der Ölindustrie. In den fünfziger Jahren ist er von Caracas nach Argentinien gegangen und hat sich ein hübsches Portefeuille zugelegt. Aber dann hat er sich übernommen. Das war 1980, kurz nach der zweiten Ölkrise. Er dachte, der Preis würde noch auf vie r zig Dollar pro Barrel klettern. Statt dessen sackte er auf sechs Dollar ab. Er hat schon immer getrunken, aber von
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