Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief
Sie nicht, daß diese Insekten Menschen wie mir, die verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen, ein erhabenes Beispiel geben? Schenken Sie also dem Leben, das um Sie herum wimmelt, etwas mehr Aufmerksamkeit, und Sie werden an Weisheit zunehmen. Und wenn Ihnen die Insekten nicht gefallen, dann heben Sie den Blick zum Himmel. Beobachten Sie den Zickzackflug der Fledermäuse. Fällen Sie kein ungerechtes Urteil über ihre Häßlichkeit. Bedenken Sie, daß viele dieser Geschöpfe tapfer dem Sonnenlicht trotzen, um sich dem Flug der Zugschwalben anschließen zu können. Der Vogelzug ist vorbei, ihre Häßlichkeit bleibt. Aber rührt Sie nicht die Naivität dieser Geschöpfe, die glauben, daß die Schönheit der Schwalben etwas Ansteckendes ist? Sie sehen schon, Bautista, ohne dieses Schloß zu verlassen, verfüge ich über meinen eigenen Vorrat an Wundern. Um so beklagenswerter ist es daher, daß ich mich trotz allem einsam fühle. Besonders in den letzten Monaten. Die Einsamkeit beginnt, mir schmerzhaft zu werden, mein Freund, und bisweilen glaube ich, daß ich nahe daran bin, verrückt zu werden. So kommt der Augenblick, da der Einsame sein hübsches Insektenbuch zuschlägt und sich daran macht, verzweifelte Briefe zu schreiben, obgleich er im vornherein weiß, daß er niemals eine barmherzige Antwort erhalten wird. Das ist der Grund – ich entsinne mich nicht, ob ich Ihnen zuvor einen anderen genannt habe –, weshalb ich es vorziehe, daß mein Brief unverständlich ist. Wenn ich keine Antwort erhalte, dann deshalb, so werde ich denken, weil man mich nicht verstehen konnte. Hören wir jetzt aber mit den Klagen auf, lassen wir uns nicht von der Sehnsucht bezwingen. Bienen stechen am liebsten traurige Gesichter. Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, ich sprach davon, wie berühmt ich in vergangenen Zeiten gewesen bin. Vielleicht war ich ungerecht, als ich Don Demetrios Gedächtnis mißtraute. Womöglich erinnert sich dieser alte Spitzbube noch an mich. Sie dürfen ihm auf keinen Fall sagen, daß ich es bin, der ihm schreibt. Er soll meinen Namen auf dem Umschlag lesen. Seine Lippen sollen sich vereinigen, um meinen Familiennamen zu murmeln. »Wie ist das möglich?«, wird er sich fragen, während der Brief in seinen Händen zittert. »Dieser alte Fuchs lebt noch?« Es ist Zeit, daß Sie begreifen, was dieser Brief für mich bedeutet, Bautista. Er bedeutet nicht mehr und nicht weniger als meine Rückkehr in die Welt der Lebenden. Eine Rückkehr, die ich einseitig zu verkünden beschlossen habe. Denn es macht mir nichts mehr aus, wenn ich nicht, wie einst, der Erste meiner Gruppe, ihr ständiger Mittelpunkt bin. Ich wünsche nichts anderes, als zurückzukehren, und möge Gott geben, daß es für diese Entscheidung nicht zu spät ist. Der einzige Haken besteht darin, daß der Tote bei seinem Entschluß, wiederaufzuerstehen, gewahr wird, daß er nicht weiß, was er den Lebenden sagen soll. Er hat die Gewohnheit des Lächelns und der alltäglichen Sprache verloren. Ihm steht nur die Sprache zu Gebot, die er in den Jahren seiner Einsamkeit und seines Schweigens lernte. Eine andere konnte er nicht finden. Verstehen Sie auch das, Bautista? Die Briefe der vom Tode Auf erstandenen müssen stets unlesbar sein. Wir dürfen nicht riskieren, daß die anderen hinter unsere großen, prachtvollen Geheimnisse kommen. Wir können uns nicht den Luxus der Klarheit erlauben, noch darüber hinwegsehen, daß die Blumen in der Zeit unserer Abwesenheit weitergeblüht haben, so groß unser guter Wille auch sein mag. Dies ist ein Argument mehr, die Unlesbarkeit meines Briefes zu rechtfertigen. Ein gewichtiger Grund, der allein schon genügte, mich von jeder Anklage des Wahnsinns freizusprechen. Ich möchte also mein ganzes Vertrauen in Sie setzen, Bautista. Ich könnte sogar sagen, daß ich meine Wiederauferstehung in Ihre Hände lege. Was hat die Glocke da gerade geschlagen? Zehn Uhr? Elf Uhr? Es ist einerlei, uns bleibt noch Zeit. Wir werden unsere Vorbereitungen umfassend, sorgfältig und bis in die allerkleinsten Einzelheiten ausführlich gestalten können. Wenn Sie aber dieses Zimmer verlassen, dann dürfen Sie nicht einmal eine Sekunde verlieren. Handeln Sie mit Eile und Weile, wie man sagt. Gehen Sie als erstes zum Teich, und fangen Sie die Frösche. Begeben Sie sich dann zur Stube meines alten Majordomus, und probieren Sie dessen grüne Livree an. Dieser Mann hatte mehr oder weniger Ihre Statur. Gehen wir jedoch Schritt für Schritt
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