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Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Titel: Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Tomeo
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ein Krug mit zwei Henkeln ist. Denn mitunter kommt es vor, daß die unbedeutendsten Einzelheiten uns den Schlüssel für den Sieg liefern. Legen wir nun aber diesen Punkt ad acta. Sie bleiben also stehen, während der Herr Graf versucht, den Brief zu entziffern. Und Sie brauchen auch nicht den Ausdruck und das Gebaren jener Maitres anzunehmen, die zu sehen Sie niemals Gelegenheit hatten. Es genügt, wenn Sie die gleiche Haltung und den gleichen Ausdruck annehmen wie in den letzten Jahren bei meinen einsamen Abendmahlzeiten. Beflissen, bereit, beim geringsten Wink von mir herbeizueilen, ohne mir indes jemals zu verstehen zu geben, daß Ihre Anwesenheit mir unentbehrlich ist. Sie können das gut, Bautista. Sie erfüllen Ihre Aufgabe als Valet wundervoll. Ich versichere Ihnen, daß ich an mehr als einem Abend, indes Sie neben dem Tisch standen, eingehüllt in Ihr erhabenes Schweigen, so nah und gleichzeitig meinen Problemen doch so fern, kurz davor war, Sie zu bitten, sich an meine Seite zu setzen, um das Abendessen mit mir zu teilen und gemeinsam mit mir zu lachen. Vielleicht, sagte ich mir bei diesen Gelegenheiten, vielleicht fühlt er sich genauso einsam wie ich. Vielleicht hat auch er Sorgen, die er mir gerne mitteilen würde. Habe ich mich getäuscht, als ich so dachte? Antworten Sie mir frei heraus, Bautista, denn letzten Endes sind Sie genauso der Sohn einer Mutter wie ich es bin. Haben Sie sich manchmal einsam gefühlt? Wissen Sie, was das ist? Haben Sie, wie ich, die dringende Notwendigkeit gespürt, Ihre Einsamkeit von den Zinnen dieses Schlosses in alle Winde zu schreien? Ach, Sie brauchen mir nicht zu antworten! Diese Träne, die Sie vergeblich mit der Zungenspitze aufzufangen suchen, scheint mir beredter als hundert Worte! Sie aber, mein guter Freund, haben noch nicht einmal einen Grafen, dem Sie absurde Briefe schreiben können. Ihre alten Freunde – wenn Sie einst welche hatten – dürften nicht einmal des Lesens mächtig sein. Damit sie begreifen, daß Sie sie brauchen, müßten Sie sie mit dem Hammer auf den Kopf schlagen. Was für ein seltsames Paradox, Bautista, dem Nächsten mit Prügeln unsere ganze Einsamkeit und Verlassenheit begreiflich machen zu müssen. Meinen Sie nicht, daß dieser Widersinn eine Erklärung für die Gewalt unserer Zeit sein kann? Glauben Sie nicht, daß sich hinter so vielen roten Wolken eine seltsame Form verquerer Liebe verbirgt? Nun gut, philosophieren wir nicht weiter. Die Philosophie ist nichts weiter als ein Loch, das wir in die Wolkendecke bohren, wie man sagt. Steigen wir wieder zu unseren Angelegenheiten herab. Es gibt etwas, von dem ich nicht weiß, ob ich es Ihnen schon gesagt habe: wenn Sie dem Herrn Grafen den Brief übergeben, dann bitten Sie ihn, beim Aufreißen des Briefes nicht auch den Absender zu zerreißen, wie es so oft geschieht. Ich wünsche, daß er gleich im ersten Augenblick meinen Namen lesen kann. Nach soviel Sorgfalt meinerseits wäre es schade, wenn Don Demetrio nicht wüßte, daß gerade ich der Absender bin. Gewiß, den Brief werden Sie überbringen, der Sie mein Diener sind, doch ich möchte nicht, daß ausgerechnet Sie sich gezwungen sehen, ihm zu erklären, wer der Absender ist. Dies erschiene mir ebenso demütigend wie sich mitten auf der Straße einem Unbekannten zu nähern, um ihm unsere Einsamkeit zu gestehen und ihm zu sagen, daß wir seine Liebe brauchen. Don Demetrio soll meinen Namen auf dem Umschlag lesen und sodann seine eigenen Schlußfolgerungen ziehen. Ohnehin sind Sie im ganzen Landstrich bekannt. Jeder, wohl auch der Herr Graf, weiß, daß Sie in diesem Schloß arbeiten. Wahrscheinlich wird Don Demetrio Sie also, ohne den Absender lesen zu müssen, mit mir in Verbindung bringen. Allerdings habe ich kein allzu großes Vertrauen in das Gedächtnis der Leute, Bautista, nicht einmal in das Gedächtnis derer, mit denen ich einst meine besten Stunden teilte. Die blässeste Tinte ist besser als das beste Gedächtnis. Es soll Sie also nicht verwundern, wenn ich mißtrauisch bin. Am wahrscheinlichsten ist, daß sich heute niemand mehr an den Marquis von W. erinnert, der zu anderen Zeiten so berühmt war. Denn ich war ein berühmter Mann, Bautista. Mehr, als Sie sich vorstellen können. Meine Überspanntheiten waren in aller Munde. Die Männer fürchteten mich, und die Frauen liebten mich. Keine Gesellschaft konnte mich entbehren. »Wie soll man mit dem Fest beginnen, wenn der Herr Marquis noch nicht eingetroffen ist?«, klagten meine

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