Der Maskensammler - Roman
weiterging!» – «Der Oberbulle sagte: ‹Kommen Sie mit!›, und zwar in so einem widerlichen Kommandoton. Das machte mich nervös. ‹Was soll das? Was läuft hier eigentlich ab?›, rief ich. Da packte er mich am Arm und führte mich in einen Mannschaftswagen. Es stank nach Pisse und ungewaschenen Socken. Der setzte sich mit seinem breiten Hintern an einen Klapptisch, während ein Unterbulle breitbeinig dastand und den Ausstieg versperrte. Erst wurden meine Personalien aufgenommen, das war noch einigermaßen korrekt, aber dann kam ein regelrechtes Verhör, als wäre ich eine Kriminelle oder so was.» – «Was genau wollten die denn wissen?» – «Ob ich Mitglied einer studentischen Organisation bin. Ob ich schon mal an einer Demo teilgenommen habe. Nach Kontaktadressen hat er gefragt und wolltewissen, ob ich schon mal den Namen Rudi Dutschke gehört habe. So in der Art. Primitiv! Dann tippte er ein Protokoll, und als es fertig war, schob er es mir hin. Als ich mich nach vorne beugte, um zu unterschreiben, machte der Typ hinter mir eine anzügliche Bemerkung. Gott sei Dank habe ich nicht verstanden, was er gesagt hat. Sonst wäre ich ausgeflippt. Aber es war irgendeine Schweinerei, das sah ich an dem Grinsen des Oberbullen. ‹Sie können jetzt gehen›, sagte der gnädig, ‹und künftig stecken Sie Ihren Personalausweis ein!›» Sie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. «Ja, Leute, ich bin jetzt polizeilich erfasst. Darauf müssen wir einen trinken!»
Die Kellnerin stellte auch vor Ursula ein Glas Bier hin. «Prost!» Die Frauen am Tisch stießen mit ihr an. «Auf die Revolution!», rief der, der eben die Fragen gestellt hatte. «Ach, Gerd, du mit deiner Revolution! Entspann dich!», rief ein anderer. «Auf das gute Löwenbräu!» – Die Frauen an Ursulas Tisch unterhielten sich über «die Jungens». «Es muss einen Grund geben, warum sie sich weigern, erwachsen zu werden», sagte eine der Beteiligten, die den Satz mit: «Ich als angehende Psychologin frage mich …» begonnen hatte. «Mir sind sie einfach zu kindisch», sagte eine andere mit Bubikopf. «Sie nehmen sich furchtbar wichtig, dabei wollen sie im Grunde nur spielen: Fußball spielen, Sex spielen und zur Zeit Revolution spielen, weil es gerade in Mode ist.» – Ursula hörte zu, das Thema fing an, sie zu interessieren. Sie nahm noch einen Schluck, spürte den Alkohol, wollte irgendetwas sagen, um am Gespräch teilzunehmen, traute sich aber nicht, aus Angst, als naiv und unerfahren dazustehen. Schließlich fragte sie, als das Jungens-Thema ins Stocken geriet: «Was ist hier in der Stadt los? So viel Polizei, ist das normal?» – «Ja, die liebe Polizei, dein Freund und Helfer! Du hast doch gehört, was sie mit Rosa gemacht haben. Die spielen auch: Ausnahmezustand!», sagte die angehende Psychologin. «Ich heiße übrigens Petra.»
Sie legte Ursula die Hand auf die Schulter und rief in den Raum:«Hey, Gerd! Komm doch mal her! Die Kommilitonin will wissen, warum so viel Polente unterwegs ist.» Und zu Ursula: «Gerd und Rosa sind die Politischen in unserer Runde. Sie sind echt engagiert.» – Gerd ließ sich Zeit. «Sollen wir uns das so einfach gefallen lassen?», hörte Ursula ihn am Nebentisch fragen. Dann stellte er sich auf die Zehenspitzen, um die Kellnerin durchzulassen, und sagte in ihre Richtung: «Hallo!» und kam gleich zur Sache: «Wir haben was Hübsches vorbereitet. Wir planen ein Sit-in vor der Uni. Die Polizei ist schon in Alarmbereitschaft.» – «Du musst ihr schon erklären, wer das ist, ‹wir›», sagte die Frau mit Bubikopf.
Als hätte man auf einen Auslöser gedrückt, kam die Antwort: «Wir sind die APO, die einzige wirkliche Opposition in diesem Land der Katzenbuckler. Wir organisieren uns endlich auch hier, in dieser Weißwurst-Metropole.» Dann nannte er eine Adresse. «Komm morgen Abend dahin. Dann siehst du, was hier abgeht. Aber nimm vorher Kontakt zu Rosa auf.»
***
Als es dämmerte, stieg Ursula in eine Straßenbahn und fuhr bis zur Endstation. Sie wollte gerade jemanden nach dem Weg fragen, da sprach sie ein junger Mann in einem Parka an: «Willst du auch zum Kongress? Komm, ich bringe dich hin.» – «Ist es weit?», fragte Ursula. Statt zu antworten, wollte er wissen, ob sie neulich im «Fünfeck» gewesen sei, hinten in der Frauenecke? – «Ja», antwortete sie. Und jetzt war sie es, die ihren Namen nannte: «Ich heiße Ursula.» – «Und ich bin Kalle, der Anarchist. Ich bin frei und
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