Der maskierte Tod
Elizabeth klopfte an. Es kam keine direkte Antwort, also wiederholte sie dies noch einmal.
»Hast du etwas gehört?«, fragte sie stirnrunzelnd.
»Kaum.« Das Geräusch war so leise gewesen, dass es selbst für mich schwer zu verstehen war, was es bedeuten sollte, aber es klang vage nach einer Einladung. Ich drückte die Tür auf und spähte hinein, dann gab ich Elizabeth den Weg frei.
»Du lieber Himmel«, sagte sie und starrte erstaunt auf das heillose Durcheinander auf dem Fußboden. Bücher, Papiere, Kleidungsstücke und Spielzeug waren bis in die Ecken verteilt und ließen keinen Zweifel daran, was sich einst in den Kisten befunden hatte, welche nun leer standen. Mit untergeschlagenen Beinen saß Oliver inmitten des Chaos', mit einem geschnitzten Holzpferd in der einen Hand und einem kleinen Buch in der anderen. Er schaute zu uns auf, sein Blick wirkte dabei recht getrübt und verloren.
»Hallo ihr. Entschuldigt die Unordnung«, sagte er mit schwacher, müder Stimme.
»Was soll dies alles?« Elizabeth raffte ihre Röcke und bahnte sich einen Weg in den Raum.
»Mu-« Er schluckte mühsam. »Mutter hat es geschickt. Es ist ihre Art, Lebewohl zu sagen, vermute ich.«
»Dies sind deine Sachen?«
»Jedes einzelne Stück davon. Alles. Kleidungsstücke, aus denen ich herausgewachsen bin und die nicht an andere weitergegeben wurden, Briefe, selbst einige der Auszeichnungen, welche ich in der Schule gewonnen habe. Hier ist es. Mein gesamtes Leben. Sie hat das Ganze endgültig fortgeschickt.«
Seine Stimme schwankte, und seine Augen waren rot. Er hatte geweint, da war ich mir sicher.
»Lieber Gott«, sagte ich. Die Grausamkeit dieser Angelegenheit ging mir sehr zu Herzen. »Wie konnte sie so etwas tun?«
»Eigentlich war es das Werk meines alten Kindermädchens. Sie arbeitet nun bei Kusine Clarinda, aber Mutter schickte nach ihr und sagte ihr, sie solle alle meine Sachen einpacken und sie dann entweder verbrennen oder verschenken. Nanny konnte es nicht ertragen, das eine oder das andere zu tun, also schickte sie mir die Dinge, zusammen mit einer schriftlichen Erklärung. Ich nehme an, ich sollte froh sein, dass all dies nicht verloren ist. Ich hatte seit einer Ewigkeit nicht an das Zeug gedacht – vielleicht hätte ich es nicht einmal vermisst – aber es alles auf diese Art zurückzubekommen ... das war schon ein Schock.«
»Oh, armer Oliver«, sagte Elizabeth. Sie schritt langsam – und vorsichtig – über den Fußboden zu ihm hin und kniete sich neben ihn, um einen Arm um seine Schultern zu legen. Elizabeth wusste inzwischen alles über die Vermutungen, welche Oliver und ich in ›The Red Swan‹ angestellt hatten, und hatte daher eine Ahnung von der Tiefe des Schmerzes, welchen er nun durchlitt.
»Ja, ich Armer. Sie ist eine erbärmliche Mutter, aber die einzige, die ich besitze. Es ist – es ist so abscheulich zu denken, dass sie mich dermaßen hasst.«
»Sie hasst sich selbst, darum handelt sie so. Wie ein verwundetes Tier, welches um sich beißt.«
»Und dadurch andere verletzt. Nun, das war es, vermute ich. Sie hat nach diesem hier nichts anderes mehr, womit sie nach mir werfen kann, nicht, bevor sie ihre Meinung über das Erbe ändert. Dies würde ich ihr durchaus zutrauen.«
»Aber du warst bei den Anwälten, nicht wahr?«, fragte sie.
»Alles, was sie mir sagen konnten, war, dass sie nicht nach ihnen geschickt hat. Aber sie könnte es jederzeit tun.«
»Es ist sehr schwierig, ein Testament zu ändern«, sagte ich. »Insbesondere eines, das für eine so lange Zeit gültig war, ohne dass es angefochten wurde. Außerdem würde dies öffentlich Aufsehen erregen, und wir wissen, dass es ihr sehr widerstreben würde, die Dinge so weit zu treiben. Das wäre zu skandalös, weißt du. Außerdem kann ich jederzeit zurückgehen, wenn nötig, und –« Elizabeth warf mir einen warnenden Blick zu.
»Und – nun, sie wird schon nichts Derartiges tun. Wir werden unser Geld wie üblich in jedem Quartal erhalten. Es gibt keinen Grund, uns Sorgen zu machen.«
»Vermutlich nicht.« Er seufzte. »Wisst ihr, wäre nicht die Nachricht, die Nanny mitgeschickt hat, dabei gewesen, hätte ich gedacht, Mutter hätte es absichtlich heute geschickt, nur um mir die Party zu verderben.«
»Ich hoffe, das hat sie nicht. Oder hat sie es doch getan?«
»Ich glaube nicht, aber ich bin fürchterlich aus dem Gleichgewicht geraten.«
»Was du brauchst, ist dein Tee.« Elizabeth stand auf und streckte die Hand aus, um ihm
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