Der Matarese-Bund
»Irgendwann zwischen den Jahren 1909 und 1913 rief Guillaume de Matarese eine Gruppe von Männern auf seinem Besitz in Porto Vecchio zusammen. Wer sie waren und woher sie kamen, ist nie festgehalten worden. Aber sie haben sich einen Namen gegeben…«
»Das Datum war der 4. April 1911«, unterbrach die alte Frau. »Sie haben sich keinen Namen gegeben, der Padrone hat ihn gewählt. Sie sollten als der Bund der Matarese bekannt werden…
Fahren Sie bitte fort.«
»Waren Sie dabei?«
»Fahren Sie bitte fort.«
Es war verwirrend. Sie sprachen von einem Ereignis, das seit Jahrzehnten der Gegenstand von Spekulationen gewesen war, ein Ereignis, über das es keine Aufzeichnungen, keine Zeugen gab. Und jetzt – binnen weniger Sekunden – hatten sie das korrekte Jahr, den genauen Monat und den exakten Tag erfahren.
»Signore…?«
»Entschuldigen Sie. Im Laufe der nächsten etwa dreißig Jahre waren dieser Matarese und sein ›Bund‹ Gegenstand von Kontroversen…« Scofield berichtete schnell und achtete darauf, möglichst einfache italienische Worte zu gebrauchen, um Mißverständnisse zu vermeiden. Er gab zu, daß die Mehrzahl der Experten, die die Matarese-Legende studiert hatten, zu dem Schluß gelangt waren, daß sie mehr Mythos als Realität war.
»Was glauben Sie, Signore? Das ist die Frage, die ich Ihnen am Anfang gestellt habe.«
»Ich weiß nicht sicher, was ich glauben soll, aber ich weiß, daß ein sehr großer Mann vor vier Tagen verschwunden ist… Ich glaube, man hat ihn getötet, weil er gegenüber anderen mächtigen Männern die Matarese erwähnt hatte.«
»Aha.« Die alte Frau nickte. »Vor vier Tagen. Doch ich dachte, Sie hätten gesagt, dreißig Jahre… von jenem ersten Zusammentreffen 1911 an gerechnet. Was geschah dann, Signore? Das sind viele Jahre.«
»Nach allem, was wir wissen – oder was wir zu wissen glauben –, arbeitete der Bund nach dem Tode Matareses noch einige Jahre von Korsika aus. Er schloß Verträge in Berlin, London, Paris, New York und Gott weiß wo sonst noch ab. Seine Aktivitäten begannen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges zu verblassen. Nach dem Krieg verschwand er; seitdem hat man nichts mehr davon gehört.«
Um die Lippen der alten Frau spielte ein Lächeln. »Also kommt er aus dem Nichts zurück, wollen Sie das sagen?«
»Ja. Mein Begleiter kann Ihnen sagen, weshalb wir das glauben.« Bray sah Taleniekov an.
»In den letzten Wochen«, sagte der Russe, »sind zwei Männer des Friedens aus unseren beiden Ländern auf brutale Weise ermordet worden. Jeder Regierung sollte glauben gemacht werden, daß die andere verantwortlich war. Die Konfrontation wurde durch schnellen, unmittelbaren Kontakt zwischen den Führern unserer Staaten vermieden. Aber es waren gefährliche Augenblicke. Ein lieber Freund rief mich zu sich; er lag im Sterben, und es gab Dinge, die er mir mitteilen wollte. Er hatte sehr wenig Zeit; seine Gedanken schweiften ab. Aber was er mir sagte, zwang mich, bei anderen Hilfe zu suchen, Rat.«
»Was hat er Ihnen gesagt?«
»Daß der Bund der Matarese noch sehr lebendig ist. Daß er tatsächlich niemals verschwand, sondern in den Untergrund ging, wo er fortfuhr, in der Stille zu wachsen und seinen Einfluß auszubreiten. Daß er für Hunderte von terroristischen Akten und Dutzende von Meuchelmorden im Laufe der letzten Jahre verantwortlich sei, für die die Welt andere verurteilte. Darunter auch die beiden Männer, die ich gerade erwähnt habe. Aber die Matarese töten nicht länger für Geld; statt dessen töten sie für ihre eigenen Zwecke.«
»Und die sind?« fragte die alte Frau mit ihrer seltsam hallenden Stimme.
»Das wußte er nicht. Er wußte nur, daß die Matarese eine sich ausbreitende Seuche sind, die ausgelöscht werden muß, aber er konnte mir nicht sagen wie, noch zu wem ich gehen sollte. Niemand, der je mit dem Bund verhandelt hatte, ist bereit, darüber zu sprechen.«
»Dann hat er Ihnen also nichts Näheres mitteilen können?«
»Das letzte, was er zu mir sagte, ehe ich ihn verließ, war, daß die Antwort in Korsika liegen könnte. Natürlich war ich davon nicht überzeugt, bis mir die weiteren Ereignisse keine andere Alternative ließen. Weder mir noch meinem Begleiter, Agent Scofield.«
»Ich verstehe die Gründe Ihres Begleiters: ›Ein großer Mann verschwand vor vier Tagen, weil er von den Matarese sprach.« Was war Ihr Grund, Signore.«
»Ich habe auch von den Matarese gesprochen zu jenen Männern, bei denen ich Rat suchte.
Weitere Kostenlose Bücher