Der Matarese-Bund
mir den Lebensunterhalt verdiene, Herr Leutnant. Ich arbeite beim Sewastopoler Sinfonieorchester.«
»Ich wußte nicht, daß ein Konzert angesagt war.«
»Ihr Name, bitte?« sagte Wassili beiläufig.
»Was?«
Taleniekov richtete sich zu seiner vollen Größe auf und war plötzlich ein ganz anderer. »Ich habe Sie nach Ihrem Namen gefragt, Herr Leutnant.«
»Wozu?« Der Offizier wirkte jetzt nicht mehr ganz so feindselig. Wassili nahm die Brille ab und sah ihn streng an.
»Für eine Belobigung oder einen Verweis.«
»Wovon reden Sie denn? Wer sind Sie?«
»KGB Sewastopol. Hafeninspektion.«
Der junge Leutnant zögerte noch; er war kein Narr. »Ich fürchte, man hat mir davon nichts mitgeteilt. Ich muß Sie um Ihren Ausweis bitten.«
»Wenn Sie das nicht täten, wäre damit der erste Verweis fällig«, sagte Taleniekov und holte seine KGB-Karte aus der Tasche. »Den zweiten würden Sie sich zuziehen, wenn Sie von meinem Auftauchen heute abend hier etwas sagen würden. Den Namen bitte.«
Der Leutnant nannte ihn und fügte dann hinzu: »Befürchten Sie Schwierigkeiten hier unten?« Er studierte die Plastikkarte und gab sie dann zurück.
»Schwierigkeiten?« Taleniekov lächelte verschwörerisch. »Die einzige Schwierigkeit, Leutnant, besteht darin, daß ich hier sein muß, statt mit einer Dame zu Abend zu essen. Ich glaube, die neuen Direktoren in Sewastopol haben das Gefühl, daß sie sich ihre Gehälter verdienen müssen. Sie und Ihre Leute tun hier gute Arbeit; das wissen sie, wollen es aber nicht zugeben.«
Erleichtert erwiderte der junge Offizier das Lächeln. »Danke. Wir tun unser Bestes, aber es ist monotone Arbeit.«
»Aber sagen Sie nicht, daß ich hier war. Das nehmen die sehr wichtig. Zwei Wachoffiziere sind letzte Woche gemeldet worden.« Wieder lächelte Wassili. »Die wahre Sicherheit unserer Direktoren liegt darin, daß sie im geheimen tätig sind. Die Sicherheit ihrer bequemen Büroposten, meine ich.«
Der Leutnant grinste. »Ich verstehe. Haben Sie eine Waffe in diesem Kasten?«
»Nein. Es ist tatsächlich eine sehr gute Violine. Ich wünschte, ich könnte sie spielen.«
Beide Männer nickten wissend. Dann setzte Taleniekov seinen Weg auf dem Pier, mitten in das Durcheinander aus Maschinen, Dockarbeitern und Aufsehern, fort. Er suchte einen ganz speziellen Aufseher, einen Griechen aus Kavalla namens Zaimis. Das heißt, er suchte einen Mann griechischer Herkunft, dessen Mutter Zaimis geheißen hatte, der aber ein amerikanischer Bürger war.
Karras Zaimis war ein CIA-Agent. Ehemaliger Stationsleiter in Saloniki und jetzt für die Fluchtroute zuständig. Wassili kannte das Gesicht des Agenten von einigen Fotografien, die er den Akten des KGB entnommen hatte. Er sah sich im Nebel um, entdeckte den Mann aber nicht.
Jetzt fädelte er sich zwischen Gabelstaplern und Gruppen murrender Arbeiter durch, auf das große Lagerhaus zu. In dem mächtigen Gebäude herrschte trübes Licht. Die mit Drahtgittern gesicherten Scheinwerfer an der Decke waren zu weit entfernt, um viel zu nützen. Die Lichtkegel von Taschenlampen huschten über die Container, Männer überprüften Nummern. Wassili überlegte, wie viele Flüchtlinge sich wohl in diesen Containern verbergen mochten, wie viele Informationen aus Rußland exportiert wurden. Wahrscheinlich nicht viel, erinnerte er sich. Dies war eine unwichtige Fluchtroute. Für wichtige Leute und bedeutsame Informationsträger gab es bequemere Möglichkeiten.
Wieder in der gebückten Haltung seiner ursprünglichen Maske, schob er sich an einem griechischen Aufseher vorbei, der mit einem russischen Arbeiter eine Auseinandersetzung hatte. Er schlenderte auf den rückwärtigen Teil des Lagerhauses zu, vorbei an Stapeln von Kartons und studierte die Gesichter der Männer hinter ihren Taschenlampen. Er begann ärgerlich zu werden. Er hatte keine Zeit zu vergeuden. Wo war Zaimis? Es hatte sich doch nichts geändert. Der Frachter fungierte immer noch als Fluchtfahrzeug, und der Agent war immer noch für ihn zuständig. Er hatte jeden Bericht gelesen, den Sewastopol geschickt hatte. Die Fluchtroute war nirgends erwähnt worden. Wo war er also?
Plötzlich verspürte Taleniekov einen stechenden Schmerz, als ihm der Lauf eines Revolvers in die rechte Niere gestoßen wurde. Kräftige Hände packten das lockere Tuch seines Mantels und stießen ihn in einen verlassenen Gang. Eine heisere Stimme flüsterte ihm in Englisch zu:
»Ich erspar' mir die Mühe, griechisch zu
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