Der Matarese-Bund
wußte, was er tat… Und der etwas unter dem linken Arm trug. Ebenso wie Wassili beobachteten die beiden Henker die beleuchteten Ziffern über der Lifttüre und erwarteten, wie auch Taleniekov, daß der Buchstabe L für Lobby aufleuchtete. Das tat er nicht.
Das Licht erreichte die 3. Dort kam es zum Stillstand. Was machte Scofield? Er hätte inzwischen bereits die Straße erreichen können, fliehen, in der Menge Sicherheit finden, auf einen von hundert Asylorten zustreben. Er blieb an dem Ort, wo man ihn töten wollte! Das war erneut Wahnsinn. Dann begriff Wassili. Beowulf Agate jagte jetzt ihn. Er spähte durch das kreisförmige Fenster. Prag redete erregt auf Marseille ein. Der nickte und drückte mit dem Finger auf den linken Liftknopf, während Prag zum Treppenhaus zurückrannte und hinter der Türe verschwand.
Taleniekov mußte wissen, was gesagt worden war. Es würde ihm Sekunden sparen – wenn er es binnen Sekunden erfahren konnte. Er schob die Graz-Burya in die Tasche, eilte durch die Pendeltüre hinaus, das graue Seidentuch hoch um den Hals aufgebauscht, den grauen Hut so tief ins Gesicht gezogen, daß man es nicht sehen konnte. Er schrie:
»Alors – vous avez découvert quelque chose par hazard?« Erregt, wie Marseille war, taten die Schnelligkeit und die Täuschung ihre Wirkung. Der schwarze Mantel, das graue Tuch und die französischen Worte im gutturalen Akzent des Holländers reichten aus, um das Bild eines Mannes vorzutäuschen, den er nur einmal kurz in einem Cafe gesehen hatte. Er war verblüfft. Er rannte auf Taleniekov zu und schrie so hastig in seiner Muttersprache, daß er kaum zu verstehen war.
»Was machen Sie hier? Hier war der Teufel los! In Beowulfs Zimmer schreien Männer; sie treten Türen ein! Er ist entkommen. Prag hat…«
Marseille verstummte. Er sah das Gesicht vor sich. Die Verblüffung schlug in Erschrecken um. Wassilis Hand schoß vor, packte die Waffe, die der Franzose in der Hand hielt, und riß sie mit solcher Gewalt herum, daß Marseille einen lauten Schrei ausstieß. Die Waffe wurde ihm entwunden. Taleniekov schmetterte den Mann gegen die Wand, trieb ihm das Knie in den Unterleib, während seine linke Hand am rechten Ohr von Marseille riß.
»Was hat Prag? Sie haben genau eine Sekunde, mir das zu sagen!« Er rammte dem Franzosen das Knie in die Hoden. »Jetzt!«
»Wir arbeiten uns zum Dach hinauf…«, stieß Marseille zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, die Hand vor Schmerz verkrümmt. »Stockwerk für Stockwerk… bis zum Dach.«
»Warum?« Mein Gott! dachte Wassili. Es gab einen Lüftungsschacht aus Metall, der das Hotel mit dem Nachbargebäude verband. Ob sie das wußten? Wieder stieß sein Knie zu. Er wiederholte: »Warum?«
»Prag glaubt, Scofield sei der Meinung, sie hätten Männer auf den Straßen… an den Hoteltüren. Er will warten, bis die Polizei kommt… das Durcheinander. Er hat in dem Zimmer etwas gemacht! In Gottes Namen, hören Sie auf!«
Wassili schmetterte Marseille den Kolben seiner eigenen Pistole an die linke Schläfe. Der Mann brach blutüberströmt zusammen. Taleniekov stieß den Bewußtlosen gegen die Wand und ließ ihn so zu Boden fallen, daß er den Korridor versperrte. Wenn jetzt jemand aus Zimmer 213 kam, würde ihn ein weiterer unerwarteter Anblick begrüßen. Die Panik würde wachsen. Er hatte wieder wertvolle Minuten gewonnen.
Der Lift zur Linken hatte auf den Knopfdruck des Franzosen reagiert. Wassili stürzte hinein und drückte den Knopf für das dritte Stockwerk. Die Türen schlossen sich, während ganz hinten im Korridor zwei aufgeregte Männer aus Zimmer 213 gerannt kamen. Der eine von beiden war der Geschäftsführer des Hotels. Er sah den gestürzten Franzosen auf dem mit Blut durchtränkten Teppich und schrie auf.
Scofield zog das Jackett aus und legte die Mütze ab, stopfte sie in eine Ecke und zog sein eigenes Jackett an. Die Liftkabine hielt im dritten Stock an; seine Muskeln spannten sich, als er ein stattliches Zimmermädchen mit Handtüchern über dem Arm hereinkommen sah. Sie nickte; er starrte sie an. Die Türen schlossen sich, und sie fuhren ins nächste Stockwerk, wo das Mädchen ausstieg. Bray drückte schnell den Knopf für das sechste Stockwerk; darüber gab es keines mehr. Wenn es überhaupt möglich war, würde ein Teil dieses Wahnsinns jetzt enden; er würde nicht fliehen, um dann wieder zu fliehen und sich dauernd den Kopf zerbrechen müssen, wo man ihm die nächste Falle stellen würde.
Weitere Kostenlose Bücher