Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
Yucatán, wohin sich offenbar viele Menschen aus dem Tiefland flüchteten. Dort gab es zwar bereits Maya-Städte, aber gleichwohl noch genügend Land, um Zuwanderer aus dem Süden zu ernähren. Allerdings nehmen die Zeugnisse aus dieser Zeit wieder ab: Aus der Nachklassik sind kaum noch Inschriften überliefert, und andere Quellen sprudeln ebenfalls nur spärlich. Geschrieben wurde nunmehr weniger auf Stein als auf Papier, aber von den reichhaltigen Bibliotheken dieser Zeit haben gerade mal vier Bücher überlebt. Andererseits ist diese letzte Epoche der Maya vor der Ankunft der Spanier durch koloniale Quellen besser erschlossen als die Geschichte der untergegangenenStädte der Maya-Klassik – dementsprechend aber auch durch den europäischen Blick eingetrübt.
Im trockenen Nordwesten der Halbinsel Yucatán, der von klimatischen Veränderungen weniger betroffen war als das südliche Tiefland, siedelten sich seit ca. 800 n. Chr. immer mehr Menschen an, und der Niedergang konnte dort hinausgeschoben werden. Die größte der dort für zwei Jahrhunderte aufblühenden Städte war Uxmal, wo wie in den südlicheren Tieflandstädten ein Gottkönig herrschte, der über große militärische Stärke verfügte. Aber die Herren von Uxmal scheinen von Versäumnissen und Krisen weiter südlich gelernt zu haben – jedenfalls lagen die Geschicke des Stadtstaates nicht mehr ausschließlich in der Hand des einen unumschränkten Herrschers. Die Verhältnisse hatten sich gewandelt, das absolutistische Gottkönigtum hatte sich per Misserfolg selbst abgeschafft.
Den Aufstieg der Stadt dokumentiert eine intensive Bautätigkeit, die verbesserte Techniken erkennen lässt, aber auch der sinkende Stern rivalisierender Städte und eine ausgeprägt militärische Kultur. Aber so schnell, wie Uxmal aufgestiegen war, rutschte es auch wieder in die Bedeutungslosigkeit ab.
Uxmal unterhielt in seiner kurzen Blütezeit Beziehungen zur berühmtesten Stadt in Nordyucatán: das politische Schwergewicht Chichén Itzá, das den größten und mächtigsten aller Maya-Staaten kontrollierte. Dessen Aufstieg zur Territorialmacht setzte nach der Machtübernahme durch eine neue Herrscherschicht ein, die möglicherweise auf eine Invasion zurückgeht. Die Stadt entwickelte sich seit dem 9. Jahrhundert zu einer lebendigen, vielseitigen Metropole, in der sich Kunst- und Architekturstile ebenso vermischten, wie religiöse und ideologische Vorstellungen unterschiedlicher Herkunft miteinander verschmolzen. Die gesamte Region erlebte zu dieser Zeit einen beachtlichen Aufschwung des Fernhandels, der jetzt überwiegend in großen Kanus entlang derKüsten abgewickelt wurde und nicht mehr nur eine kleine Elite ernährte. Unter den Gottkönigen war es vor allem um Luxusgüter gegangen, die die Bedürfnisse einer exklusiven Elite befriedigen sollten, jetzt aber wurden vermehrt Gebrauchsgegenstände im- und exportiert. Gelegentlich wird sogar von der Herausbildung einer Mittelschicht gesprochen, die sich solche Handelsgüter zunehmend leisten konnte.
Der Handel im großen Stil, mit Obsidian und Jade, von Baumwolle bis zu Kakao und Salz, beförderte Kontakte zwischen weit entfernten Städten in fast ganz Mittelamerika, was sich das expansionistisch orientierte Chichén Itzá politisch zunutze machte. Dem Aufstieg zur Wirtschaftsmacht gingen militärische Eroberungen voraus, mit denen Chichén Itzá ein Netz abhängiger und verbündeter Städte etablierte, auf das seine Wirtschaftskraft gründete. Um widerspenstige Vasallenstädte im Zaum zu halten, hatten diese in Chichén Itzá Mitglieder der Herrscherfamilien als Geiseln zu stellen.
Die Schlüssel zum Erfolg des Wirtschaftsimperiums aber waren – abgesehen von der militärischen Schlagkraft – ein im Unterschied zu den unflexiblen und personenabhängigen Gottkönigtümern hocheffektives politisches System, eine gesunde und expansive Wirtschaft, die Seehäfen kontrollierte und so vom zunehmend wichtigeren Handel entlang der Küste profitierte, und eine modifizierte religiöse Weltsicht, die den Status der Metropole stützte. Denn bei aller weltlichen Ausrichtung war Chichén Itzá auch ein religiöses Zentrum, das den legendären Herrscher Kukulkan (»Gefiederte Schlange«) als Gottheit verehrte. In Zentralmexiko war dieser Gott seit Langem als Quetzalcoatl bekannt, aber auch die Maya huldigten ihm schon geraume Zeit. Das erleichterte Chichén Itzá, über die Grenzen des Maya-Landes hinaus nicht nur mittels Zwang
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