Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
handlungsfähig zu sein, sondern religiöse, also ideologische Glaubwürdigkeit auszustrahlen.
Rund zwei Jahrhunderte konnten die Itzá, wie die neue Herrscherschicht in Chichén Itzá genannt wird, ihre Machtstellung ausbauen und behaupten, dann aber begann auch der Stern dieser Stadt zu verblassen. Die Gründe sind umstritten, könnten aber ganz ähnlich gelagert sein wie beim Niedergang der Tieflandstädte der Klassik.
Chichén Itzá wurde im 13. Jahrhundert vom Konkurrenten Mayapan abgelöst, das vermutlich seinen Sieg über den Rivalen, ganz wie im politischen Geschäft anderswo auf der Welt, politischen Intrigen und neuen Bündnissen verdankte. Gleichwohl eiferte man dem erfolgreichen Vorgänger nach, sei es als Handelsmacht oder indem man hochrangige Geiseln aus abhängigen Städten in Mayapan ansiedelte. Trotz seiner Bedeutung war Mayapan innenpolitisch aber eher bescheiden: Man legte weniger Wert auf monumentale Architektur, wie sie zuvor üblich gewesen war, sondern investierte in die Infrastruktur in Form von Straßen, Häfen und Lagerhäusern, ließ breitere Schichten vom Wohlstand profitieren – und die Stadt mit Festungswällen umgeben.
Wichtigstes Merkmal der Spätphase der alten Maya, der sogenannten Postklassik, war die Tatsache, dass nicht mehr Gottkönige als Bindeglied zwischen dem Maisfeld Erde und dem Götterhimmel für das menschliche Wohlergehen sorgten und sich in dieser Überhöhung zu gottgleichen Wesen mit übernatürlichen Kräften immer mehr von ihrem Volk entfernten. Die neuen Herrscher der postklassischen Periode waren irdischer, also pragmatischer ausgerichtet und regierten nicht selten im Kollektiv mächtiger Familien. Anstatt Entscheidungen in selbstherrlicher Einsamkeit zu fällen, griffen sie auf eine effiziente Beamtenschaft zurück.
Aber auch Mayapans Zeit ging vorüber. Verantwortlich dafür waren Machtkämpfe innerhalb der führenden Familien in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die Folge waren plötzlich unabhängige Einzelstaaten, die sich halten konnten, bis die Spanier deramerikanischen Unabhängigkeit ein gründliches Ende bereiteten. Die völlige Unterwerfung ließ allerdings nach dem ersten Kontakt der Maya mit den Spaniern – als im Sommer 1502, bei Kolumbus’ vierter Amerikafahrt, vor der Küste Yucatáns ein Handelskanu mit den riesigen Schiffen der Spanier Bekanntschaft machte – noch fast zwei Jahrhunderte auf sich warten. Erste Missionsposten der Spanier zogen jedoch schon sehr bald erste Epidemien nach sich, da die Maya gegen europäische Krankheiten wie die Pocken nicht immun waren. Die Eroberung Yucatáns zog sich trotzdem lange hin, denn die unwegsame Gegend erschwerte den Spaniern das Geschäft, viele Maya-Städte leisteten erbitterten Widerstand, und die dezentrale Organisation der Maya in Yucatán schloss einen wirkungsvollen Schlag gegen ein Machtzentrum wie das der Azteken aus. Vergleichsweise spät unterwarfen die Spanier Yucatán, nämlich 1544, nicht zuletzt deshalb, weil die Kunde ihrer Grausamkeit den dortigen Itza-Maya vorausging und selbst den wenig zimperlichen Spaniern Angst einjagte. Auch die K’iche’-Maya im Hochland von Guatemala und in anderen Regionen Mittelamerikas ließen sich nur mit Mühe unterwerfen – 1527 kam es gar zum kollektiven Selbstmord von ungefähr 2000 Tzotzil-Maya in Chiapas, die sich hoch oben über dem Fluss Grijalva, der einmal eine Lebensader der Hochland-Maya gewesen war, von einem Felsen hinabstürzten, um sich den Spaniern nicht lebend ergeben zu müssen. Die Maya sind bis zum heutigen Tag stolz darauf, dass das letzte ihrer Königreiche erst 1697 unterworfen werden konnte, als die Itza-Maya den letzten Widerstand auf der Insel Noj Petén (Tayasal) im Petén-Itzá-See gegen die Übermacht der Spanier aufgaben.
Man könnte mutmaßen, ob nicht im kollektiven Gedächtnis und jenseits der politischen Propaganda der jeweiligen Herrschaft der Maisgott eine Schlüsselrolle einnahm, wenn Maya zusammensaßen und das Auf und Ab ihrer Geschichte erörterten – soweit esihnen geläufig war. Denn so wie Hun Nal Yeh mit seiner Fruchtbarkeit für Nahrung, Wachstum und Blüte gesorgt hatte, hatte er den Maya seine Gunst auch immer wieder entzogen und Platz gemacht für den kriegerischen Einfluss der Venus, des blutrünstigen Kriegsgottes.
BAUER BEN, DIE HEILIGEN KÖNIGE
UND DER ZEIGER DER VENUS
Der Kalender der Maya
und ihr Umgang mit der Zeit
Stellen wir uns einen Maya-Maisbauern vor, der vor gut zweitausend
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