Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
vielen Beispielen bis ins 20. Jahrhundert hinein nachvollziehen können. Mancher Forscher bezeichnet den Kalender gar als eines der effektivsten Machtinstrumente überhaupt. Warum sollten die klassischen Maya hier eine Ausnahme bilden? Noch dazu, als die enorme religiöse Befrachtung alles Zeitlichen und Kalendarischen den Herrschern geradezu nahelegte, sich diesen mächtigen ideologischen Komplex zunutze zu machen.
Herrschaftliche Nutzbarmachung des Kalenders vollzieht sich am wirkungsvollsten mittels öffentlicher Rituale zu bestimmten Kalenderfesten, wenn die Mächtigen die Autorität der heiligen Zeit heranziehen, um ihre Stellung zu demonstrieren und zu legitimieren. Und solche bestätigenden Kalenderfeste feierten die Maya zuhauf, denn jedes Ende eines Zyklus wurde festlich begangen – und Zyklen kannten sie reichlich. Aber nicht nur Kalendereinheiten boten Anlass für Feste, auch landwirtschaftliche Termine wurden gefeiert, ebenso lokale Jubiläen, etwa der Stadtgründung, wichtige astronomische Konstellationen oder Familienereignisse der Herrscher.
Unter den Gottkönigen wurden landauf, landab wichtige Ereignisse nicht nur durch Rituale, sondern ebenso durch die Einweihung von Bauwerken und insbesondere durch die Aufstellung von Steinstelen gewürdigt – dieser auffällige Stelenkult inklusive seiner beflissenen Datierung gilt als eins der Hauptmerkmale der Maya-Klassik und war das neue Medium dieser neuen Herrschaftsform namens Gottkönigtum. Die Stelen und das Ritual ihrerEinweihung an kalendarisch bedeutsamen Terminen drückten Selbstverständnis und Machtanspruch der Herrscher aus, die so von ihrem Ruhm und ihren Verdiensten kündeten, sich in eine Reihe mit nicht minder ruhmreichen Vorfahren und den Göttern stellten und diese Propaganda in eigener Sache mit kalendarischen Bezügen kosmologisch aufwerteten. Diese Form der herrschaftlichen Selbstdarstellung besitzt also eine andere Dimension als die auf Tempelstufen vollzogenen Blutrituale, die natürlich weiterhin praktiziert wurden und ihr Publikum fanden. Der Stelenkult entspricht der zunehmenden Bedeutung des Kalenders als Herrschaftsinstrument, zumal eine Stele gleichzeitig eine lineare Beständigkeit wie auch die Bedeutung der Zeitzyklen bedient, was den Herrschenden ideal erschienen sein muss. Rituale sind vergänglich, eine datierte Stele hingegen bleibender Ausdruck des Machtanspruchs – wie die zyklische Neuweihe eines Tempels, um die Geltung des Bauherrn und Vorfahren in der eigenen Person und kalendarisch-kosmologisch abgesichert fortzuschreiben. Und ganz praktisch ließen sich Stelen häufiger aufstellen als Bauwerke, sowohl was die Kosten als auch was den Platz betrifft.
Die Stele mit dem ältesten erhaltenen Datum des Maya-Tieflands, deren Herkunft eindeutig ist, steht in Tikal, hat die archäologische Fundnummer 29 und trägt das Datum 8.12.14.8.15 (292 n. Chr.), wurde also lange nach der fiktiven Lebenszeit des Bauern Ben und über 1200 Jahre vor der spanischen Eroberung errichtet. Die beschädigte Stele zeigt auf der einen Seite den König von Tikal, Siyaj Chab K’awiil I., vermutlich anlässlich seines Herrschaftsantritts. Die Darstellung auf der Vorderseite gibt ihn als Abkömmling der Königsdynastie zu erkennen und betont gleichzeitig seinen Herrscherstatus und seine Fähigkeit, mittels Blutritualen mit Ahnen und Göttern in Kontakt zu treten. Das Datum, das auf der Rückseite verzeichnet wurde, ist unvollständig; aber da die Angaben der Langen Zählung komplett vorliegen, lässt sich auchdie Datierung nach Tzolk’in und Haab rekonstruieren: 13 Men 3 Zip . Sehr viel mehr, als die Stele berichtet, lässt sich über diesen frühen König von Tikal allerdings nicht sagen.
Die Maya nannten die Stelen lakam tun , »großer Stein«, oder te tun , »Baumstein«. Beliebter Anlass für die Aufstellung dieser Stelen oder die Errichtung neuer Bauwerke waren die sogenannten k’atun -Feiern. Der Zyklus, in dem sich die alten Maya zeitlich verorteten, hat eine Länge von 13 bak’tun , von denen jeder 20 k’atun umfasst – jeweils wiederum aus 7200 Tagen bestehend –, und begann mit der Erschaffung der gegenwärtigen Welt 3114 v. Chr. Mehr als ein Jahrtausend lang feierten die Maya jedes k’atun -Ende also alle rund 20 Jahre, erst die spanische Eroberung setzte dem ein Ende. Manche Städte schoben Halb- k’atun -Feiern dazwischen, einige wenige begingen sogar jeden Viertel- k’atun . Auch diese Feste wurden von Ritualen begleitet,
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