Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
Machtübergangbemüht, besorgt wegen möglicherweise aufkommender Zweifel an seiner dynastischen Respektabilität. Deshalb betrieben Pakal und Kan Balam mit großem Aufwand Ahnenforschung.
Diesem Steckenpferd verdanken wir eine stattliche Anzahl aufschlussreicher Details aus der Vergangenheit dieses wichtigen Herrscherhauses, denn Vater und Sohn ließen die Verdienste ihrer Vorfahren ausgiebig in Schrift und Kunst darstellen, sodass dank ihres ausgeprägten Familiensinns über die Herrscherdynastie von Palenque besonders viel bekannt ist. Diese Überlieferung stand im Zentrum der Entzifferung der Maya-Hieroglyphen vor wenigen Jahrzehnten. Von ihnen wissen wir beispielsweise, dass das Königshaus 431 begründet wurde und dass es genealogisch einigermaßen geradlinig bis auf Pakal und Kan Balam II. zugeht – der Abgleich mit archäologischen Befunden, wo möglich, ist allerdings noch in vollem Gange.
Den reich verzierten Deckel von Pakals Sarkophag haben wir bereits kennengelernt, auf ihm ist aber nicht nur die Reise des verstorbenen Königs dargestellt, sondern auch die Erbfolge von Palenque mit den Todesdaten und Namen von Pakals Vorgängern, die auf den Seitenwänden des Sarkophags wie Bäume aus Erdspalten wachsen. Der »Tempel der Inschriften«, der über Pakals Grabkammer errichtet wurde, kann außerdem mit drei großen Hieroglyphentafeln aufwarten – dem längsten der intakt erhaltenen Maya-Texte −, die peinlich genau und lückenlos die Herrscherfolge bis auf Kan Balam II. aufzählen.
Die Beflissenheit, mit der die beiden Könige ihre tadellose Erbfolge zum Besten geben, lässt jede Historiker-Augenbraue nach oben schnellen: Zu viele Fälle gibt es von Herrschern aus aller Welt und durch alle Epochen, in denen eine nicht ganz lupenreine Erbfolge auf die eine oder andere Weise retuschiert oder legitimiert werden soll, indem sie offiziös und mit einigem Getöse postuliert wird, dabei Schwachstellen gekonnt umschiffend oderbeschönigend. Die Geschichte kennt zwar nicht ausschließlich Könige, die durch Geburt an ihr Amt kamen, aber im weit verbreiteten Erbkönigtum kommt es nun einmal auf eine legitime Herkunft an; und wer seinen Nachkommen den Platz auf dem Thron sichern will, tut gut daran, ihre Sitzberechtigung frühzeitig niet- und nagelfest zu machen.
Und in der Tat: Im Falle der Herrscher von Palenque findet sich ein Schönheitsfleck, besser gesagt derer zwei, denn Pakals Königswürde und damit die seines Sohnes und dessen Nachfolger verdankte sich neben den diversen Herrschern bis ins 5. Jahrhundert zwei Frauen: Pakals Mutter Sak K’uk’ und seiner Urgroßmutter Yohl Ik’nal, die nicht nur, wie es sich für Maya-Frauen königlichen Geblüts geziemte, den Platz an des Königs Seite ausfüllten und ihm Kinder schenkten, sondern selbst regierten – und zwar in den beiden Fällen auch nicht bloß als Regentin eines noch unmündigen Erben. In der strengen Sicht männlicher Erbfolge war damit die Dynastie unterbrochen, mochten die beiden Königinnen auch Königstöchter und ihre Nachfolger ihre Söhne gewesen sein. Gemäß herrschendem dynastischen Verständnis nämlich hatte dadurch mit Pakal eine neue Familie die Herrschaft übernommen, und eben das bereits zum zweiten Mal – die Dynastiefolge wies gleich zweimal eine fatale Unterbrechung auf. Dieser Makel bedurfte also der Kosmetik.
Die königliche Tünche ist allerdings entschieden durchsichtig, denn sie rückt die Herrscherabfolge nicht zurecht oder unterzieht die Königinnen einer posthumen Geschlechtsumwandlung, sondern tut einfach so, als sei alles mit rechten Dingen zugegangen und eine Abweichung von der männlichen Linie sei nicht weiter tragisch. Vermutlich war im historischen Bewusstsein durchaus noch präsent, dass einige Generationen zuvor Frauen am Ruder gewesen waren, weshalb Pakal nicht einfach den Stammbaum fälschen konnte. Oder seine Unverfrorenheit ging nicht weit genug,das können wir kaum beurteilen. Pakal ließ außerdem, und das verdeutlicht die familiären Nöte des betagten Königs ein weiteres Mal, seinen Sohn auf Relieftafeln des Tempels abbilden, wie er im Beisein seiner Vorfahren zum Thronerben gemacht wird.
Inzwischen König geworden, reichte Kan Balam II. jedoch ganz offensichtlich nicht, was sein Vater an genealogischer Vorarbeit geleistet hatte – vielleicht hatte er es mit einem Rivalen zu tun, der ihm den Thron streitig machte, doch auch das wissen wir nicht. Oder aber, durchaus denkbar, der Kalender
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