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Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur

Titel: Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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zogen die Gottkönige dabei abermals eine mythische Parallele: Sie stellten sich auf eine Stufe mit der Götterschar, die die gegenwärtige Schöpfung auf den Weg gebracht hatte.
    Wenn der Betrachter der Relieftafel des Kreuztempels nach der Lektüre des ersten Textes links außen den Blick nach rechts wandernließ, erkannte er die Darstellung der Inthronisation Kan Balams im Jahr 684, 132 Tage nach dem Tod des Vaters. Das Zentrum des Bildes ist gleichzeitig das Zentrum des Kosmos, zeigt es doch den Weltenbaum, auf dem der Himmelsvogel sitzt. Kan Balam, noch nicht im vollen Königsornat abgebildet, nimmt gerade die Herrschaftsinsignien entgegen. Rechts neben ihm befindet sich der zweite Text, der die Dynastie von Palenque zurückverfolgt und sowohl in der Darstellung als auch inhaltlich und kalendarisch in direkten Zusammenhang mit der Göttergeschichte setzt.
    Die Abbildung selbst bekommt damit neben dem dokumentarischen Charakter der Thronbesteigung durch Kan Balam noch den propagandistischen im Rückgriff auf mythische Zeiten und ihre Figuren. Und die Sterne spielen das Spiel scheinbar mit, wie der Archäoastronom Anthony Aveni beschreibt, denn Kan Balams Schutzgott Jupiter setzt wie durch ein Wunder immer zum richtigen Zeitpunkt – ob Geburt, Thronbesteigung oder Trauerfeier – in seiner Bahn zur Schleife an. Dies ist ein weiterer der zahlreichen Fälle, in denen Kalenderdaten gefälscht wurden, um wichtige Ereignisse rückblickend auch astronomisch abzusichern.

    Die Lange Zählung der Maya besaß also zwei maßgebliche Vorteile: Historiografisch ermöglichte die Bestimmung jedes gewünschten Datums in einer Chronologie eine Geschichtsschreibung, die königliche Heldentaten verewigte und so politische Legitimität beförderte. Ideologisch jedoch war die Ausbeute noch erheblich größer, denn die religiöse Dimension von Zeit nutzte den Gottkönigen, wenn sie sich als potenter Faktor im heiligen Zeitspiel der Kalender darstellten. Jede einzelne der vielfältigen Entsprechungen im Verhältnis der Geburtstage Pakals und der alten Göttin beispielsweise legitimierte seine Herrschaft und die seiner Nachfolger ein gewichtiges Stückchen mehr. Um solche Berechnungen an- und Analogien herzustellen, beschäftigten die Maya-Herrscher eineeigene Kaste von Kalenderpriestern und Astronomen, die tagaus, tagein mit nichts anderem befasst waren, als die Herrschaft und Handlungen ihres Herrn kalendarisch abzusichern.
    Aufgabe der Gelehrten der Maya-Könige war es, die Dimensionen der Zeit, wie sie sich darbot und zu interpretieren war, zu erforschen. Zusammenhänge und Übereinstimmungen der vielen Himmelszyklen erfuhren besondere Beachtung, denn je vielfältiger die Merkmale eines bestimmten Tages, desto genauer ließ sich sein Charakter bestimmen. Und um solche Zuordnungen über längere Zeiträume hinweg zu treffen, bedurfte es genauer Langzeitbeobachtung der verschiedenen Zyklen. Dabei wurden der Aufwand immer größer, die angehäufte Datenmenge von Sternenbewegungen umfangreicher und dementsprechend die Kalenderberechnungen immer komplizierter. Das System funktionierte nicht anders als ein Computerprogramm, das auf Grundlage einer Datenbank arbeitet: Je umfangreicher die Datensammlung, desto präziser die Berechnungen und folglich die Prognosen – und desto weiter vor und zurück im Kosmos der Zeit konnte man tätig werden. Dieser Fortschrittsgedanke muss den Ehrgeiz der Kalenderpriester und Astronomen enorm befeuert haben, denn je mehr sie über das Zeitgewebe wussten, desto zielsicherer konnten sie sich im beständigen Strom der Zeit bewegen. Sie arbeiteten an nichts weniger als an der präzisen chronologischen Kartierung des Kosmos, so wie sie ihn verstanden.
    Manchen Maya-König muss im Umgang mit seinen obersten Kalenderkundigen mitunter ein höchst ungutes Gefühl beschlichen haben: Der König war wenig oder nichts ohne seinen Stab an Zeitfachleuten, weil sie für das wichtigste Propagandamedium, den Kalender, zuständig waren. Darin ähnelten die Gottkönige der Maya modernen, auf ihre Berater angewiesenen Politikern – aber mussten diese elitären Fachleute nicht gelegentlich denken, sie seien eigentlich berufener für das Regierungsgeschäft? Vielleichttrug sich mancher König insgeheim mit dem Gedanken, sich eines besonders selbstgerechten und arroganten Vertreters seiner Zeitversteher zu entledigen – nur um im nächsten Moment ohnmächtig zu konstatieren, dass er viel mehr auf seine Kalendergelehrten und

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