Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
Planeten ihre Bahnen um die Sonne ziehen, wie es die Erde auch tut. Fehlte diese Gewissheit, oder würden wir uns die Zeit statt mit anderem Tand mit ausgedehnter Himmelsbeobachtung vertreiben, könnten wir feststellen, dass die Planeten von Mutter Erde aus gesehen keineswegs als gleichmäßig dahinziehende Himmelskörper erscheinen, eben weil wir das Schauspiel nicht von der Sonne, sondern von der Erde aus beobachten. Wäre es uns möglich, unser Wissen um die Sonne als Dreh- und Angelpunkt unseres Sonnensystems zu unterdrücken, könnten wir vielleicht das ehrfürchtige Staunen der alten Babylonier, Ägypter, Chinesen und Maya beim ausdauernden Blick zum Firmament nachvollziehen. (Noch einfacher fiele uns das bei einer Reise in Äquatornähe, von wo aus der Sternenanblick die Wahrnehmung von der Erde als Mittelpunkt des Geschehens zusätzlich begünstigt.)
Im Falle der Venus kam für die Maya eine weitere vielsagende Beobachtung hinzu: In derselben Zeit von acht Sonnen- bzw. fünfVenusjahren durchläuft der Mond 99 seiner Zyklen – nach Maya-Art angenähert, da sie ausschließlich mit ganzen Zahlen rechneten. Wem das Geschehen am Nachthimmel ein heiliges Rätsel ist, der entwickelt irgendwann die Neugier, wiederkehrende Regelmäßigkeiten, also Zyklen zu entdecken, die das Rätselhafte ein wenig vertrauter machen. Das ist natürlich ein ganz anderer Ansatz als unserer – wenn wir überhaupt dem Sternenraum Aufmerksamkeit widmen. Da wir auf dessen Hilfestellung fürs Alltägliche längst nicht mehr angewiesen sind, suchen wir nach dem Exotischen, Erstaunlichen, Außergewöhnlichen. Daher ist unser Verhältnis zu Sternzeit und Planetenbahnen heute eher von Science Fiction und bemannter Raumfahrt geprägt als von den scheinbar unspektakulären Planeten mit ihren Schleifen und Konjunktionen. In einer langen, sternklaren Nacht im Maya-Tiefland und mit banger Erwartung des Wetters der nächsten Erntesaison waren die Bedürfnisse ganz anders gelagert – und was sich dem bloßen Auge darbot, war spektakulär genug.
In ihrer doppelten Eigenschaft als Morgen- und Abendstern sahen beispielsweise die Babylonier in der Venus gegensätzliche Eigenschaften vereint. Die Maya verstanden die Venus als eng verbunden mit dem Regengott Chaak , weil ihre Himmelskundler Beziehungen herstellen konnten zwischen der Länge der Abwesenheit des Planeten vom Morgen- bzw. Abendhimmel und dem Zeipunkt von Regen- und Trockenzeiten – eine höchst praktische Erkenntnis für Maisbauern wie unseren Ben. Der Versuch war also naheliegend, schon früh durch intensive Beobachtung der Venus über lange Zeiträume (also viele Generationen) eine breitere Datengrundlage zu erhalten, um verlässliche Vorhersagen treffen zu können. Und natürlich brauchte es für die Zuordnung der Vorhersagen und für ihre Weitergabe zur praktischen Anwendung einen Kalender als Koordinatensystem, in dem diese nutzbar eingetragen werden konnten. Respektlos gesagt, handelte es sich bei derVenusschau anfangs nur um eine Art fortgeschrittenen Bauernkalender.
Aber Maisanbau hin oder her: Vor allem eine der Venus zugeschriebenen Eigenschaften war für die Maya von besonderer Bedeutung: die als kriegswichtige Himmelsinstanz. Folglich waren die Astronomen ganz besonders gefragt, genaue Beobachtungen und Berechnungen über Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Venus anzustellen, um daraus langfristige Prognosen über künftige Venusphasen machen zu können und damit militärische Aufklärungsdienste zu leisten.
Der Kriegsbezug der Venus geht aus unzähligen Inschriften und Abbildungen hervor, wenn auch die Forschung sich nicht vollends einig ist, wie sehr sich die Militärstrategen der Maya in Abhängigkeit von der Venus begaben. Beispielsweise ist umstritten, ob die Maya ihre Kriegszüge tatsächlich nach der Erscheinung der Venus ausrichteten. Vermutlich war es hier wie bei anderen bedeutsamen Ereignissen, zu denen der zuständige Himmelskörper seinen Segen spenden sollte: Was nicht passte, wurde passend gemacht, da hielten es die Politiker der Maya wohl kaum anders als ihre Berufskollegen anderer Völker zu allen Zeiten der Geschichte. So blind war der Glaube an die Schicksalsmacht der Sterne nämlich nicht, dass ein Feldherr eine günstige Gelegenheit für ein militärisches Unternehmen hätte ungenutzt verstreichen lassen, weil das Erscheinen der Venus auf sich warten ließ. Vielmehr verfuhr man gegebenenfalls pragmatisch und setzte sich über die Himmelskunde hinweg –
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