Der Medicus von Heidelberg
getan, im Gegenteil: Er hat unter Einsatz seines Lebens Pestkranke versorgt, weil die Hospitäler der Stadt überfüllt sind, und niemand sonst hätte es tun können. Im Übrigen lag auch ich mit der Seuche darnieder, und er hat mir – ganz nebenbei – das Leben gerettet.«
Von Selfisch nickte mir zu. »Und darüber hinaus veranlasst, dass mein Bruder Allan ein christliches Begräbnis in unserer Familiengruft erhalten konnte, ich weiß.« Dann nahm er wieder von Obernissa ins Visier. »Wer ist dieser Reimar Guldt, dass sein Wort offenbar mehr gilt als das eines Professors der Hierana?«
Der Hauptmann räusperte sich. »Er ist ein ehemaliger Landsknecht.«
»Höre ich richtig, ein Landsknecht?«
»Jawohl, Herr Stadtrat.« Von Obernissa nahm unwillkürlich Haltung an.
»Wer hat die Haftorder unterschrieben?«
»Der ehrenwerte Rat Hubertus von der Eich.«
»Hubertus von der Eich? Der ist mir wohlbekannt. Ich zähle ihn zu meinen Freunden und werde mit ihm sprechen. Die Haftorder ist ein Irrtum.«
»Aber, Herr Stadtrat, mit allem Respekt …«
»Mit allem Respekt dürft Ihr jetzt abtreten, Obernissa. Die Stadtwache und ihr Wachführer haben heute kein Ruhmesblatt abgeliefert.«
»Äh, jawohl, Herr Stadtrat.« Von Obernissa wurde rot wie ein Hahnenkamm, grüßte stramm und verschwand mit seinen Männern.
Von Selfisch lächelte. »Ich bin gekommen, um mich zu bedanken. Hoffentlich störe ich nicht?«
»Euer Besuch ist uns eine Ehre«, beeilte de Berka sich zu versichern, und Muhme Lenchen fragte: »Habt Ihr schon gegessen, Herr Stadtrat?«
»Nein, aber ich möchte Euch keine Umstände machen.«
»Das tut Ihr nicht! Wenn Muhme Lenchen am Herd steht, ist immer genug für alle da. Auch in diesen Zeiten und auch, wenn unverhofft Gäste kommen. ›Fünf sind geladen, zehn sind gekommen, gieß Wasser zur Suppe, heiß alle willkommen‹, so hat meine Mutter selig immer gesagt.«
Von Selfisch lachte. »Dann nehme ich dankend an.«
Nachdem mit einer Lauchsuppe der erste Hunger gestillt war, tupfte von Selfisch sich mit einem Tuch die Lippen ab und sagte: »Mein lieber Professor, mein lieber Nufer, ich hatte eigentlich viel früher kommen wollen, um Dank zu sagen, doch mein Aufenthalt in England verlängerte sich durch widrige Winde, die über den Kanal wehten. Aber nun bin ich hier und habe als Zweitältester die Geschicke meiner Familie in die Hand genommen. Ihr, Nufer, habt uns einen großen Dienst erwiesen, anderenfalls läge mein Bruder jetzt irgendwo in ungeweihter Erde, flüchtig verscharrt, womöglich eine Beute der Krähen. Dass dies nicht geschah, verdanken meine Familie und ich Eurer Umsicht.«
Angesichts dieser Worte wusste ich kaum, wie mir geschah. Ich murmelte etwas von Selbstverständlichkeit und Christenpflicht, doch von Selfisch ließ das nicht gelten. »Wie kann ich mich erkenntlich zeigen?«, fragte er. »Ich bin in der Stadt nicht ohne Einfluss.«
Ich überlegte und schüttelte dann den Kopf. »Euer Dank genügt mir vollauf.«
Von Selfisch nickte. »Das hatte ich mir fast gedacht. In diesem Fall erlaubt mir wenigstens, Eure gute Sache zu unterstützen.« Er holte ein Säckchen mit Münzen hervor und drückte es mir in die Hand.
Ich wollte protestieren, doch de Berka, der eine praktische Ader besaß, kam mir zuvor. »Das ist sehr großzügig von Euch, Herr Stadtrat«, sagte er. »In diesen Zeiten, da alles doppelt so teuer ist wie sonst, wäre es töricht, Eure Gabe nicht anzunehmen. Die Patienten werden es Euch danken.«
»Davon bin ich überzeugt.« Von Selfisch erhob sich. »Leider ist meine Zeit knapp bemessen, so dass ich mich empfehlen muss. Nochmals Dank an Euch, Nufer, und auch an die anderen Herren.« Er deutete eine Verbeugung in Richtung Muhme Lenchen an. »Nicht zu vergessen ein Lob für Eure Kochkunst. Ich kann mich nicht erinnern, je eine so gute Suppe gegessen zu haben.«
Muhme Lenchen nestelte verlegen an den Bändern ihrer Schürze.
Von Selfisch wandte sich zum Gehen, drehte sich in der Tür jedoch noch einmal um. »Und was den Hauptmann von Obernissa angeht, meine Herren, so macht Euch um ihn und seinen Auftrag keine Sorgen mehr. Indes« – er zögerte einen Augenblick – »wäre es vielleicht besser, die Sektionen zunächst einmal einzustellen.«
»Wir werden uns danach richten, Herr Stadtrat«, versicherte ich.
»Dann ist es gut. Gott befohlen. Und bleibt gesund, damit Ihr Eure wichtige Arbeit weiter verrichten könnt.«
»Gott befohlen«, antwortete ich und
Weitere Kostenlose Bücher