Der Medicus von Heidelberg
schloss die Tür hinter ihm.
Als von Selfisch gegangen war, merkte ich erst, wie weich meine Knie waren, und musste mich rasch wieder setzen.
»Das war knapp«, sagte de Berka.
Meister Karl nickte ernst.
Eustach fuhr sich durch das schlohweiße Haar. »Reimar, dieser Verräter«, grollte er. »Jetzt weiß ich auch, warum er heute Abend keine Zeit hatte, mit uns zu essen.«
De Berka sagte: »Den werden wir wahrscheinlich nie wiedersehen.«
Hinz meinte: »Darum ist’s nicht schade.«
»Jetzt wird erst einmal weitergegessen«, befahl Muhme Lenchen und tischte den Hauptgang auf.
Als wir unser Mahl beendet hatten, nahm ich Hinz beiseite. »Auf ein Wort, Hinz«, sagte ich. »Du wirst in Zukunft wieder Eustach zur Hand gehen müssen, doch ich habe darüber hinaus eine Bitte. Ich möchte wissen, wer hinter den Verleumdungen steckt, die mich fast in den Kerker gebracht hätten. Der Stadtmedicus Sabber kann es nicht sein. Er kennt mich nicht, und ich habe ihm nie etwas getan. Genauso wenig, wie ich Reimar jemals ein Härchen gekrümmt habe. Vielleicht aber ist der lange Landsknecht genau derjenige, der Licht in die Angelegenheit bringen kann. Ich möchte, dass du ihn auftreibst und zum Reden bringst. Meinst du, das könnte dir gelingen?«
»Und ob, Herr!« Hinz war sofort Feuer und Flamme. »Ich habe mit dem Kerl sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen, so, wie der meine Lilott angestarrt hat.«
»Dann ist es gut. Ich verlasse mich auf dich.«
»Das könnt Ihr, Herr.«
Am darauffolgenden Sonntag nach dem Kirchgang wollte ich in der Bibliothek meine
Observationes de peste laborantibus
auf den neuesten Stand bringen, als plötzlich Hinz den Raum betrat. Er hatte leuchtende Augen und sagte mit Triumph in der Stimme: »Verzeiht, dass ich so hereinplatze, Herr, aber Ihr werdet nicht erraten, was ich herausgefunden habe.«
Ich brauchte einen Augenblick, um mich von meinen Aufzeichnungen zu lösen. »Ich bin gespannt, Hinz.«
»Darf ich mich setzen, Herr?«
»Gewiss. Schieß los.«
»Wie Ihr mir aufgetragen hattet, Herr«, begann Hinz, »versuchte ich, Reimar auszuquetschen, aber das war leichter gesagt als getan, denn dazu musste ich ihn erst mal finden. Um es kurz zu machen, ich entdeckte ihn in einer heruntergekommenen Spelunke am Stadtrand, halb betrunken und übel fluchend, denn er hatte gerade sein ganzes Geld beim Würfelspiel verloren. Ich tat so, als bedaure ich ihn, und lud ihn auf einen Becher ein. ›Was willst du von mir?‹, fragte er misstrauisch, denn er hatte sehr wohl mitbekommen, dass ich ihn nicht besonders mag.
›Nichts‹, sagte ich. ›Aber auch mir war das Glück nicht hold. Lilott will nichts mehr von mir wissen. Wahrscheinlich hast du ihr den Kopf verdreht.‹
Das besserte seine Laune sichtlich, und er erkundigte sich eingehend nach ihr. Ich erzählte ihm, was er hören wollte, und brachte, ohne dass er es merkte, die Sprache auf diesen von Obernissa und seinen Verhaftungsversuch an Euch. Das ließ ihn zunächst zur Auster werden, doch nach zwei weiteren Bechern lockerte sich seine Zunge. Er sagte, er habe einen Wink bekommen, dass der alte Eustach einen neuen Hilfsmann für seinen Pestkarren brauche und dass er sich mit ihm zusammentun solle. Wenn ihm das gelänge, solle es sein Schaden nicht sein. Wenn es ihm außerdem gelänge, den Studiosus Nufer bei ungesetzlichen oder verwerflichen Handlungen in Professor de Berkas Haus zu beobachten, würde es sich für ihn doppelt lohnen.«
Hinz machte eine Pause. Es bereitete ihm sichtlich Vergnügen, meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben.
»Und dann?«, fragte ich.
»Dann kriegte Reimar spitz, dass Ihr, Herr, in der Grube Sektionen vornahmt, und gab dieses Wissen brühwarm weiter.«
»An den Ratsherrn von der Eich? Das würde keinen Sinn machen. Ich kenne ihn nicht, und er kennt mich nicht.«
»Nicht an den Ratsherrn von der Eich.«
»Sondern?« Ich beugte mich vor, denn ich konnte es kaum erwarten, den Namen zu erfahren.
»An einen Kerl namens Anselmus von Engelhuss.«
»Engelhuss!« Der Name machte allerdings Sinn. Doch dass Engelhuss, dieser Schülerschläger und Bücherdieb, so hinterlistig sein konnte, hätte ich nicht für möglich gehalten. Er musste gute Kontakte zum Stadtrat haben, sonst hätte er von der Eich nicht zum Erlass einer Haftorder gegen mich bewegen können. »Engelhuss ist ein alter Feind von mir«, sagte ich und erzählte Hinz von den Vorfällen, die sich in der Georgenburse zugetragen hatten. Hinz hatte mein
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