Der Medicus von Heidelberg
Himmelsrichtungen, und ich weiß nicht, welches Wissen ich bei ihnen voraussetzen kann. Deshalb heute der eher allgemeine Lehrstoff. Doch schon bei den nächsten Lesungen wird die Heilkunde für Frauen im Mittelpunkt stehen. Sie ist ein Zweig der Wissenschaft, der bislang nur kümmerlich sprießt, weshalb er die besondere Aufmerksamkeit eines neuzeitlichen Mediziners genießen sollte.«
»Ihr erstaunt mich, wenn die Bemerkung gestattet ist.«
Koutenbruer ging nicht auf meine Worte ein, sondern fuhr in seiner ernsten Art fort: »Es gibt am männlichen Körper nichts, was nicht auch der weibliche Körper aufzuweisen hätte.« Er blieb stehen und überraschte mich mit einem angedeuteten Lächeln. »Wenn man von dem Bereich absieht, über den die Abkömmlinge Adams ohnehin bei jeder Gelegenheit reden.«
Ich war ebenfalls stehen geblieben, lächelte zurück und dachte: Vielleicht ist dieser Koutenbruer doch nicht so langweilig, wie es den Anschein hat. Laut sagte ich: »Da bin ich ganz Eurer Meinung, Herr Professor. Leider gibt es viel zu wenig Literatur über den Leib der Frau.«
»Ganz recht, ganz recht. Wer wüsste das besser als ich. Doch wo wir schon bei den Frauen sind: Vielleicht hat Tyche, die Göttin der Fügung und des Zufalls, ihre zarte Hand im Spiel gehabt und mich dazu inspiriert, Euch im Gebärhaus unterzubringen. Denn manches, was Ihr bei mir in der Theorie hört, werdet Ihr, so Tyche will, auch in der Praxis studieren können.«
»Ich bin Euch sehr zu Dank verpflichtet, Herr Professor.«
»Nicht der Rede wert. Meine nächste Vorlesung wird den Monatsfluss der Frau zum Thema haben. Wenn Ihr wollt, verschaffe ich Euch die Möglichkeit, einige Nachschlagewerke aus der Bibliotheca Palatina mit ins Gebärhaus nehmen zu dürfen. Das Buch
Trotula major
ist in diesem Zusammenhang sehr zu empfehlen.«
»Das Kompendium
Trotula major
habe ich bereits eingehend studiert, Herr Professor.«
»So, habt Ihr das?« Koutenbruer zog überrascht, vielleicht auch ein wenig enttäuscht, die Augenbrauen hoch. Deshalb fügte ich schnell hinzu: »Aber das soll nicht heißen, dass ich Euer großzügiges Angebot nicht annehme. Es gibt noch viel zu lesen für mich. Hildegard von Bingen, von der ich lediglich das Werk
Causae et Curae
kenne, soll sehr viele Rezepte für die Frauen in guter Hoffnung entwickelt und diese auch ausführlich niedergelegt haben.«
»So ist es, Nufer.« Koutenbruer nickte bestätigend. »Ich werde Claudicus, dem Bibliotheksschreiber, eine entsprechende Anweisung zukommen lassen. Und nun darf ich mich empfehlen. Ich habe zu Hause Frau und Kind, die auf mich warten.«
»Selbstverständlich, Herr Professor. Und nochmals meinen Dank.«
»Schon gut, schon gut.«
Ich blickte Koutenbruer nach, wie er mit kleinen, trippelnden Schritten davoneilte, und dachte: Wahrhaftig, so schlecht ist dieser Professor nicht.
An den folgenden Tagen lenkte ich meine Schritte immer wieder zum Markt in der Hoffnung, meine Prinzessin unter den Händlern und Besuchern zu finden. Obwohl ich scharf beobachtete, konnte ich weder sie noch meinen kleinen Botenjungen entdecken. Ob der Kleine mich betrogen hatte? Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, mit dem Pfennig durchzubrennen. Doch ich mochte nicht recht daran glauben. Er hatte einen aufgeweckten und ehrlichen Eindruck auf mich gemacht. Vielleicht war er im Schlossbereich erwischt worden? Und wenn ja, hatte man ihn ausgequetscht und ihm seinen Auftrag entlockt? Dann musste ich mit Unannehmlichkeiten rechnen. Erheblichen Unannehmlichkeiten …
Solche und ähnliche Fragen gingen mir häufig durch den Kopf, während ich das bunte Treiben um mich herum betrachtete. An einem Freitag, dem Tag, an dem auch die Fischer ihre Waren anpriesen, herrschte besonders dichtes Gedränge. Nicht zuletzt wegen der Bauern aus der Umgebung, die ihre Stände aufgebaut hatten, um Gemüse und Obst zu verkaufen, denn in den kleinen Gärten der Städter wuchs das Grünzeug nicht in ausreichender Menge. Daneben gab es die Metzger und Bäcker der Stadt, die ihre festen Buden zwischen den Strebepfeilern der Heiliggeistkirche errichtet hatten. Es schien so, als seien die Bäckermägde von allen Marktweibern am gottlosesten, denn direkt neben einem Stand hatte ich auf einem Pfeiler den Anschlag gelesen:
»Es ergeht Erlass, dass der Bäcker Mägde
keine unziemlichen und schandbaren Lieder singen
und besonders während der heiligen Ämter
und wenn man im Stift singt oder predigt.«
Kein Bäcker durfte
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