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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Rapfen.«
    Die Dicke rümpfte die Nase. »Rapfen kommen nicht in Frage, die haben zu viele Gräten.«
    »Da will ich Euch nicht widersprechen.«
    »Habt Ihr keine Aale?«
    Fischel zuckte bedauernd mit den Schultern. »Bei mir gibt’s nur Fische mit Schuppen und Flossen.«
    »Dann gehe ich zum nächsten Stand.«
    »Halt, liebe Frau! Ihr wollt mir doch nicht das Geschäft vermasseln? Ich habe noch etwas, das Euch bestimmt gefallen wird.« Fischel beugte sich vor, senkte die Stimme und sagte mit verschwörerischer Miene: »Rotaugen!«
    »Rotaugen, na und?«, erwiderte die Dicke.
    »Es sind ganz besondere Rotaugen. Ich habe sie genau um Mitternacht bei Wieblingen aus dem Neckar gezogen. Mitternachtsrotaugen gelten als die Fische der Aphrodite. Ihr Verzehr macht jung und glücklich.«
    »Ist das wahr?«
    »So sagt man.«
    »Dann von mir aus. Zwei Rotaugen.«
    Fischel begann, die Ware einzupacken, aber die Dicke wollte selbst entscheiden, was sie bekam. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis sie sich für zwei Exemplare entschieden hatte und bezahlte.
    Als sie fort war, fragte ich: »Sind alle deine Kundinnen so schwierig?«
    »Manche ja, manche nein.« Fischel wollte zu einer längeren Erklärung ansetzen, aber zwei Mägde mit Einkaufskörben näherten sich, und deshalb flüsterte er mir rasch zu: »Komm heute Abend zum Judentor. In dem Haus daneben wohne ich. Es liegt direkt am Neckar und hat keine Fenster, du wirst es leicht erkennen.«
    Ich klopfte ihm auf die Schulter und verließ ihn, den Kopf voller Gedanken. Ich hatte mich mit Odilie treffen wollen und meinen alten Freund Fischel gefunden. Das Leben ging manchmal seltsame Wege. Aber ich war glücklich. Heidelberg war eine fremde Stadt für mich, und Fischels Anwesenheit machte sie mir ein wenig vertrauter. Wie es ihm wohl ergangen war?
    Vor mir tauchte ein Stand mit einer Garküche auf, die von einem Metzgergesellen betrieben wurde. Er bot geröstete Teile vom Hähnchen an. Wahrscheinlich handelte es sich in Wahrheit um Taubenfleisch, denn das kostete nichts. Es flog gewissermaßen überall herum. Ich kannte das aus Erfurt. Aber das Fleisch roch lecker, und deshalb kaufte ich eine Portion, zusammen mit einem Fladen Brot.
    Ich aß im Stehen und beobachtete das Treiben um mich herum. Viele der Händler waren bereits dabei, ihre Stände abzubauen. Auch die Reihen der Marktbesucher lichteten sich. Ich kam zu der Überzeugung, dass Odilie abermals nicht den Weg vom Schloss hinunter zu mir gefunden hatte. Nirgendwo war sie unter den Frauen und Mägden zu entdecken. Enttäuschung, ja, Hoffnungslosigkeit kam über mich. Wie hatte ich nur so töricht sein können, zu glauben, dass meine Nachricht bei Odilie angekommen war? Und selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte: Wie hätte sie, eine Prinzessin, sich unerkannt unter das gemeine Volk mischen können?
    Schweren Herzens beschloss ich, den Heimweg zum Gebärhaus anzutreten, wo Schnapp auf mich wartete. Nur zwei oder drei Stände waren noch nicht abgebaut. Eine alte Obstbäuerin mit fleckiger Schürze und abgetragener Haube winkte mich zu sich heran, während sie in einer Kiste mit rotbackigen Äpfeln herumkramte. Ich wollte ihr sagen, dass mir nicht der Sinn nach Äpfeln stand, aber dann erinnerte mich das Mütterchen an Muhme Lenchen, und ich trat näher. »Ich brauche nichts«, sagte ich halbwegs freundlich. »Vielleicht ein andermal.«
    Doch die alte Frau kramte weiter, den Kopf tief über ihre Früchte gebeugt, und auf einmal sah ich, dass sie nicht mehr in Äpfeln kramte, sondern in darunterliegenden Pomeranzen. Ich hielt den Atem an. Und dann blickte das Mütterchen auf, und ich erkannte, dass es gar kein Mütterchen war. Es war – Odilie.
    Ich stand da wie gelähmt. Kein Wort kam mir über die Lippen, obwohl mein Herz vor Freude schier zersprang. Ich wollte sie an mich reißen, sie umarmen, sie mit Küssen überhäufen, doch zu nichts von alledem war ich fähig. Ich stand einfach nur da und genoss das Wunder unseres Wiedersehens.
    Odilie lächelte scheu. »Ich bin so hässlich. Ich wollte nicht, dass du mich so siehst, aber es ging nicht anders.«
    »Du bist nicht hässlich«, flüsterte ich. »Du bist die schönste Frau der Welt.« Ich trat auf sie zu, legte meine Hände auf die ihren und drückte sie sanft. Mehr durfte ich nicht tun, ohne die Aufmerksamkeit der wenigen noch anwesenden Besucher zu erregen. Tausend Dinge wollte ich Odilie sagen, wohlüberlegte Sätze, geboren in langen Nächten der Einsamkeit,

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