Der Medicus von Heidelberg
artige Komplimente, Beteuerungen, wie sehr sie mir gefehlt habe, aber ich sagte nichts. Jedes Wort hätte den Zauber unserer ersten Begegnung nach so langer Zeit zerstört. Und doch gab es eine Frage, die ich stellen musste. »Odilie«, sagte ich leise, »du hast mir geschrieben, es sei zu spät. Was hast du damit gemeint?«
Sie blickte mich an, in ihre Augen traten Tränen.
»Um Gottes willen, bitte, weine nicht. Was ist passiert?«
»Ich bin …«
»Was bist du?«
»Ich bin verheiratet. Seit über einem halben Jahr.«
Die ganze Zeit hatte ich es geahnt, aber nicht wahrhaben wollen. »Nein!«
»Doch.« Odilies Tränen flossen stärker. »Es ist Christoph, der Sohn von Bogislaw X., dem Herzog von Pommern. Ich habe dir von ihm erzählt. Ich musste ihn heiraten. Vater wollte es. Er versprach sich politische Vorteile davon.«
Ich nickte benommen. »Es ist meine Schuld. Ich war zu dumm, deine Nachrichten zu lesen. Erst bei der dritten Pomeranze bin ich auf den Inhalt gestoßen.«
»Christoph ist ein schrecklicher Mensch, viel schrecklicher noch, als ich befürchtet hatte. Er ist eitel, feige und ein hemmungsloser Schürzenjäger. Hinter vorgehaltener Hand wird er im Schloss nur noch ›der Weiberfreund‹ genannt. Es ist ihm völlig einerlei, wie es mir dabei ergeht. Wenn ich ihm Vorhaltungen mache, lacht er nur und sagt, er habe ein Recht darauf, mich zu betrügen, weil ich bei der Hochzeit keine Jungfrau mehr gewesen sei.« Odilie hatte immer schneller gesprochen, in ihre Verzweiflung hatte sich Empörung gemischt. Sie wischte sich die Tränen ab. »Ich hasse ihn!«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Was hätte ich auch erwidern können. Ich spürte nur, wie der Wunsch in mir übermächtig wurde, Odilie, meine Odilie, in die Arme zu nehmen und sie nie wieder loszulassen. »Komm«, sagte ich entschlossen. Ich schob den Karren zum nächsten Strebepfeiler und stellte ihn dort ab. Dann nahm ich Odilie bei der Hand.
»Wohin gehen wir?«
»In die Kirche.«
Wir traten ein in die erhabene Stille des Langhauses, waren plötzlich umgeben von turmhohen Rundsäulen, die sich über uns zu gotischen Spitzbögen verjüngten, spürten die Nähe des allmächtigen Gottes. Auf einem Seitenaltar brannten Kerzen und verströmten Licht, Kraft und Zuversicht. Nur wenige Gläubige befanden sich mit uns in dem heiligen Haus. Sie knieten vor der Apsis und hielten Zwiesprache mit der hölzernen Jesusfigur über dem goldenen Altar.
Ich zog Odilie in den Schatten einer Rundsäule, schaute sie an und küsste sie auf den Mund. Es war eine Berührung, sanft wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, doch voller Glut, ein Kuss, der mein Innerstes auflodern ließ. »Odilie, meine Odilie«, hörte ich mich murmeln, während ich sie wieder und wieder küsste, »ich habe dich so schrecklich vermisst.« Ängste, Nöte, Schmerzen und Gefahren, jegliche Arten von Ungemach, die ich in der Vergangenheit erlebt hatte, schienen mir in diesem Augenblick lächerlich klein. »Ich liebe dich so sehr, mehr als mein Leben.«
»Ich liebe dich auch«, flüsterte sie.
Gemeinsam standen wir so für lange Zeit, die Köpfe aneinandergeschmiegt. Dann fasste ich einen Entschluss. »Vater unser im Himmel«, sprach ich leise, »sieh in dieser Stunde auf deine Kinder herab und erkenne, dass sich niemals zwei Menschen mehr geliebt haben. Zerschneide darum das Band der Ehe zwischen Christoph und Odilie und gib Odilie frei.«
Ich machte eine Pause, denn mein Herz klopfte zum Zerspringen. Dann sprach ich weiter, langsam und fest: »Gib Odilie und mich zusammen, denn du hast uns füreinander geschaffen. Gib uns zusammen heute und für alle Zeiten, bis dass der Tod uns scheidet.«
Ich schloss die Augen und spürte Gottes Kraft und Willen. Dann öffnete ich die Augen wieder und nahm Odilies rechte Hand in meine rechte Hand. »Gott will, dass wir Mann und Frau sind«, sagte ich. »Nichts wird uns jemals wieder trennen können. Weder Gesetz noch Gewalt noch irgendjemandes Geheiß. Meine Seele ist in dir, und deine Seele ist in mir. Mag kommen, was will. Wir sind Mann und Frau.«
»Amen«, wisperte Odilie. Ihr Gesicht war nass von Tränen. Aber es waren Tränen des Glücks.
Wieder küsste ich sie. Und dieses Mal war es nicht lodernde Glut, sondern die sanfte Flamme der Gewissheit, die dem Kuss innewohnte.
»Gehen wir«, sagte ich, und wir verließen die Heiliggeistkirche als Mann und Frau.
Draußen vor der Kirche schritten wir Hand in Hand zu dem Obstkarren,
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