Der Medicus von Heidelberg
ein junger Mann in Bursarierkutte und eine alte Frau mit fleckiger Schürze und abgetragener Haube, doch wir scherten uns nicht darum, was die Leute dachten. Zu glücklich waren wir. »Wie bist du eigentlich aus dem Schloss herausgekommen?«, fragte ich.
Odilie lächelte. »Da war ein kleiner Junge, der mich im Pomeranzenwald überraschte. Er gab mir eine Frucht, und ich dachte im ersten Moment, er habe sie für mich aufgelesen. Aber dann sah ich, dass sie alt war, und der Atem stockte mir vor Aufregung. ›Woher hast du die Pomeranze?‹, fragte ich ihn, doch er schwieg.
›Sollst du nichts ausrichten?‹, fragte ich.
›Nee, soll ich nicht.‹
›Wie bist du überhaupt in den Schlossbereich hereingekommen?‹
Wieder schwieg er. Aber sein Blick, der bei meiner Frage in eine bestimmte Richtung ging, gab mir die Antwort. Als er fort war, las ich deine Nachricht und dachte mir: Da, wo jemand durch die Schlossmauer hereinkommt, kommt er auch wieder hinaus. Ich ging in die Richtung und entdeckte tatsächlich eine kleine Öffnung im Gemäuer, gerade so groß, dass man sich hindurchzwängen konnte.«
»Und dann bist du hierhergekommen«, ergänzte ich froh. »Aber wo hast du nur die alten Kleider, den Karren und die Äpfel aufgetrieben?«
»Das war nicht ich. Das war Milda.«
»Milda?«
»Meine Zofe. Sie ist zwanzig Jahre älter als ich und war meine Amme. Später wurde sie meine Leibdienerin. Sie ist treu wie Gold, klug und umsichtig.«
»Ist sie auch verschwiegen?«
Odilie antwortete mit großem Ernst: »Sie würde mich nie verraten, nicht einmal unter der ärgsten Folter.«
»Wo ist sie überhaupt?« Ich schaute in die Runde.
»Gib dir keine Mühe, mein Liebster, sie sieht dich, aber du siehst sie nicht, denn sie ist eine der Bettlerinnen, die am Rande des Marktes um Almosen bitten.«
»Alle Wetter, das nenne ich gewitzt.« Ich kam nicht umhin, Milda, die Unbekannte, zu bewundern.
»Ich muss jetzt gehen.« Odilie strich mir mit der Hand über die Wange. »Ich glaube, es war der schönste Tag in meinem Leben. Ich danke dir so.« Sie spitzte die Lippen, um einen Kuss anzudeuten.
»Es war auch der schönste Tag in meinem Leben«, sagte ich. »Nur schade, dass Schnapp nicht dabei sein konnte.«
»Schnapp!« Odilie schlug sich die Hand vor den Mund. »Ihn habe ich ganz vergessen! Wie geht es ihm? Ist er gesund? Ist er sehr groß geworden?«
Ich lachte. »Er ist groß wie ein Kalb, frisst wie ein Löwe und weicht mir nach wie vor nicht von der Seite. Wir beide haben Unterkunft im Gebärhaus des Hospitals gefunden.«
»Im Gebärhaus?«
»Es war die einzige Möglichkeit mit einem Hund.«
»Du musst mir unbedingt erzählen, wie es dir und Schnapp ergangen ist, aber jetzt muss ich gehen. Ich kann nicht so lange fortbleiben, ohne dass es auffällt.«
»Ich schiebe dir den Karren hinauf zum Schloss.«
»Nein, lass nur.« Odilie nahm meine Hand und drückte sie zum Abschied. »Das macht Milda. Sie wartet auf mich in einer Seitengasse hinter dem Rathaus. Ich selbst muss zurück durch das Loch in der Schlossmauer.«
»Richtig, ich vergaß …« Mir wurde schwer ums Herz. Zu plötzlich kam der Abschied, zu unausweichlich. »Wann sehen wir uns wieder, meine Prinzessin?«
Sie blickte mich an, während sie energisch den Karren wendete und zum Marktausgang schob. »Sobald es möglich ist, mein Liebster. Leb wohl und grüße Schnapp.«
»Leb wohl«, murmelte ich und blickte ihr hinterher – einer kleinen alten Frau, die in Wirklichkeit die Tochter eines der mächtigsten Männer im Reich war.
Über dem Ende der Judengasse, die nach Norden zum Neckar hin verlief, wölbte sich das alte Judentor. Schnapp und ich durchschritten es – Schnapp eifrig in den Ecken schnüffelnd –, erreichten das Flussufer und blickten zurück, um die Häuser links und rechts des Tores zu mustern. Fischel hatte erzählt, das Haus, in dem er wohne, habe keine Fenster, doch ich sah kein solches Gebäude. »Siehst du ein Haus ohne Fenster?«, fragte ich Schnapp.
Schnapp blickte zu mir auf und wedelte mit dem Schwanz.
»Ein Haus ohne Fenster?«
Schnapp schüttelte sich, als sei ihm meine Frage lästig. Dann ging er auf einen stattlichen, östlich des Tores gelegenen Bau zu und setzte sich.
»Das soll Fischels Haus sein, mein Großer?« Zweifelnd betrachtete ich die prächtige Fassade, trat näher – und entdeckte in ihr die Konturen eines viel kleineren Hauses. Es war höchstens so breit wie drei Männer und hatte keine
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