Der Medicus von Heidelberg
noch einmal anzublicken, nahm ich den Käfig mit Schnapp und entfernte mich schweren Herzens.
Wie sich herausstellte, ging es Freimut Walth und den anderen Artisten tatsächlich schon sehr viel besser, auch Cordt von Bechstein, dem man den langen Splitter aus dem Oberschenkel herauspräpariert hatte. Er zeigte mir stolz, wie spitz das Holzstück war, und reinigte sich zum Spaß damit einen Fingernagel. Das Erdbeben mit seinen katastrophalen Folgen schien für ihn seine Schrecken verloren zu haben. Nur der Tod von Eugenius Röist trübte seine Stimmung. Wir sprachen eine Zeitlang über den sangesfrohen Luzerner, und Cordt sagte: »Er hätte so gut mit einem Bein weiterleben, weiter trinken und weiter deklamieren können.«
»Ja«, sagte ich, »das hätte er.«
»Heute Morgen lebte er noch. Er war voller Pläne. Und nun ist er tot.«
»Ja«, sagte ich abermals und fragte mich, ob der schwache
Spiritus vitalis
in seinem Blut wirklich der Grund für sein Dahinscheiden war. Aber ich schob den Gedanken beiseite, denn von Medizin verstand ich nichts. Die Kunst der Heilkunde wollte ich erst noch erlernen.
»Er ruhe in Frieden.«
»Ja, er ruhe in Frieden.«
Nachdem wir uns die Hand gegeben und uns für die Zukunft alles Gute gewünscht hatten, wollte ich das Spital verlassen, doch ich überlegte es mir anders. Ich lenkte meine Schritte zum Kellereingang, nahm eines der brennenden Öllämpchen von der Wand und stieg die Stufen ins Gewölbe hinab. Eine Zeitlang musste ich suchen, dann fand ich Eugenius’ Leichnam in einem Seitenraum. Er lag auf einem steinernen Sockel, gekleidet in ein weißes Totenhemd. Seine Hände hatte man über der Brust gefaltet und ein Kruzifix in sie hineingelegt. Vier Kerzen auf hohen Leuchtern spendeten feierliches Licht.
Ich trat neben ihn, stellte den Käfig mit Schnapp auf den Boden, faltete die Hände und sprach ein kurzes Totengebet. Vergeblich suchte ich nach weiteren Worten. Ich hatte ihn gekannt, wie man viele Scholaren an der Universität kennt, nicht besonders gut, aber auch nicht besonders schlecht. Trotzdem stand er mir in jenem Augenblick sehr nahe. Schließlich fiel mir doch etwas ein. Ich sagte:
»Alle guten Menschen werden nicht vergessen
Eugenius, du warst ein guter Mensch
Also: Eugenius, du wirst nicht vergessen.«
Und ich fügte hinzu: »Friede sei deiner unsterblichen Seele. Amen.«
Dann nahm ich den Käfig mit dem schlafenden Schnapp und stieg wieder nach oben ans Tageslicht.
Kapitel 3
Basel, Freiburg, Baden,
16 . bis 23 . März 1504
J ohann Heinrich Wentz, mein väterlicher Freund, hatte auf seinem Krankenlager darauf bestanden, dass ich noch am gleichen Tag Basel verlassen solle, doch da ich auf sein Geheiß zuvor noch die Herren Ulricher und Utenheim aufsuchen musste und auch sonst manches vorzubereiten hatte, verzögerte sich meine Abreise um einige Tage. Erst am Samstag dieser ereignisreichen Woche verließ ich die Stadt, in der ich vier Jahre lang die
Artes liberales
studiert hatte. Ich saß hoch zu Ross, eine Packtasche an jeder Seite, dazu den Vogelkäfig, in dem Schnapp friedlich schlummerte. Der kleine Hund verlangte viel Aufmerksamkeit, da er noch nicht stubenrein war und mir überallhin folgte. Selbst mein Lager teilte ich mittlerweile mit ihm, wenn auch zunächst nicht ganz freiwillig. Doch ein einziger Blick aus seinen treuen Hundeaugen hatte alle meine guten Vorsätze dahinschmelzen lassen.
Auch mit Aaron verstand ich mich gut. Wann immer ich es in den vergangenen Tagen einrichten konnte, hatte ich mit ihm geredet, ihn gestreichelt und ihm eine Leckerei auf der flachen Hand entgegengehalten. Er dankte es mir, indem er mir vertraute und aufs Wort gehorchte. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, ihn als Reittier auf meinem langen Weg nach Erfurt zu benutzen, aber der Torwächter meiner Burse, ein ehemaliger Soldat, hatte mir versichert: »So einen Ritt könnt Ihr mit dem nicht mehr machen. Ist viel zu alt, der Gaul. Nehmt besser die Kutsche aus Zürich.«
So kam es, dass ich meine Reise mit einem Umweg begann. Statt nach Norden ritt ich zunächst nach Osten, der Überlandkutsche aus Zürich entgegen, denn ich war sicher, sie würde das zerstörte Basel nicht anfahren. Bei Rheinfelden wollte ich auf sie treffen und mir darin einen Platz sichern.
Bis Rheinfelden waren es ungefähr zehn Meilen, eine Strecke, von der ich glaubte, dass ich sie Aaron zumuten konnte. Wir ritten in der Morgendämmerung los, immer der Sonne entgegen. Es war ein milder,
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