Der Medicus von Heidelberg
eines kann ich schon jetzt in die Wege leiten: Eure Exkommunikation!«
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass die Befragung durch von Elfrich alles andere als eine Kleinigkeit war. Es ging um nicht mehr und nicht weniger als um meinen Kopf. Tausend Gedanken schwirrten plötzlich darin herum. Tausend Erklärungen und Versicherungen meines guten Willens, doch ich brachte nur die Worte »Ich wollte doch helfen …« hervor.
Von Elfrich beachtete mich nicht. Er war womöglich noch röter im Gesicht geworden, öffnete den Mund und rang nach Atem. Im ersten Augenblick überblickte ich die Situation nicht, aber dann, als er sich röchelnd ans Herz fasste, begriff ich. Ich sprang auf und rief dem Protokollanten zu: »Rasch, öffnet das Fenster!«, während ich in fliegender Hast und keineswegs ehrerbietig am Kragen des Gottesmannes zerrte.
Endlich gelang es mir, die Schnüre zu lösen. »Atmet tief ein!«, befahl ich laut. Ich eilte um von Elfrich herum, stand hinter ihm und bog ihm die Schultern zurück, damit er besser Luft bekam. »Tief einatmen, tief einatmen.«
Von Elfrich röchelte und krächzte und bemühte sich, Luft zu schöpfen. Er gab ein paar gurgelnde Laute von sich, und ich dachte schon, er würde mir unter den Händen sterben, da tat er einen langen, befreienden Atemzug.
Das gab mir Zeit, mich um das Fenster zu kümmern, denn der Protokollant hatte es nicht aufbekommen. »Es klemmt!«, rief er verzweifelt.
»Dann holt Wasser, frisches Wasser!«
Der Mann eilte fort, während ich mein Glück mit dem Fenster versuchte. Es klemmte tatsächlich. Aber es musste geöffnet werden, damit für den Patienten eine bessere Versorgung mit dem vitalen Pneuma erzielt werden konnte. Ich nahm das schwere Tintenbehältnis und schlug es mehrfach gegen das kostbare Bleiglas, bis ein großes Loch entstanden war. Luft strömte herein. »Atmet tief ein, langsam tief einatmen und wieder ausatmen. Einatmen, ausatmen!«
Von Elfrich gehorchte, so gut er konnte.
Der Protokollant kam zurück mit einem Krug Wasser. Ich schenkte einen Becher damit voll und gab von Elfrich zu trinken. Während er trank, sagte ich zu dem Protokollanten: »Lauft zum Hospital am Kornmarkt und lasst Euch von Rosanna, der Kundigen Frau, Weißdornextrakt geben. Aber nicht zu wenig.«
»Jawohl!«
»Und wenn Ihr zurückkommt, kümmert Euch um heißes Wasser, ich will mit dem Weißdorn einen Heiltrank zubereiten.«
»Jawohl!«
»Geht es Euch besser?«, fragte ich von Elfrich.
Der nickte, wobei er es vermied, mir in die Augen zu schauen.
»Ihr habt großes Glück gehabt, Herr Bischofsvikar. Euer Herz ist schwach, Ihr hattet einen Anfall. Gebt mir Euren Arm, ich will Euch in den Nebenraum geleiten. Dort habe ich vorhin ein Bett stehen sehen.«
Ich brachte von Elfrich hinüber und bettete ihn, so gut es ging. Als er schnaufend dalag, sagte ich: »Hildegard von Bingen, die zu verehrende Äbtissin, von der Ihr sicher schon gehört habt, schreibt in ihrem Werk
Causae et curae,
es gäbe Menschen, die in sich zu viel feuchtes Phlegma trügen, und dass dieses Phlegma böse Auswirkungen für den Brustbereich und das Hirn habe. Unter beidem scheint Ihr zu leiden. Es wird das Beste sein, wenn Ihr ein wenig schlaft, bis der Protokollant mit der Arznei zurück ist. Schlaft ein wenig. Schlaft, und ich will Euch wecken, wenn es so weit ist.«
Von Elfrich schlief ein. Ich saß auf der Bettkante und sagte mir, dass das, was ich getan hatte, zweierlei nach sich ziehen konnte: entweder meinen Untergang oder meine Rettung.
Ich saß da und wartete, und während ich wartete, prüfte ich den Puls meines Patienten, der mich noch vor kurzem vernichten wollte. Wo nur der Protokollant blieb?
Endlich erschien er, atemlos, sich für die Verzögerung entschuldigend, er habe Frau Rosanna zuerst nicht auftreiben können. Dafür habe er aber nicht nur den Extrakt, sondern auch gleich das heiße Wasser mitgebracht. Ich dankte ihm und bereitete den Aufguss vor. Ein Absud, bei dem die Wirkstoffe erst angesetzt und anschließend erhitzt werden, wäre besser gewesen, aber dafür fehlte mir die Zeit. So goss ich nur das heiße Wasser auf die Extrakte und wartete eine Weile.
Dann legte ich von Elfrich die Hand auf die Stirn und sprach ihn leise an. »Herr Bischofsvikar«, sagte ich, »wacht auf. Wacht auf, wenn es Euch bessergeht.«
Von Elfrich schlug die Augen auf, blinzelte einige Wimpernschläge lang verständnislos und erkannte mich. »Nufer«, krächzte er und wollte
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