Der Medicus von Heidelberg
bin.«
»Vor Euch sitzt der hochwürdigste Bischofsvikar Hubert von Elfrich, Stellvertreter und Bevollmächtigter seiner Exzellenz des Fürstbischofs Reinhard von Rippur.«
Ich verbeugte mich.
»Ihr seid also der Studiosus der Medizin Lukas Nufer, gebürtig in Siegershausen zu Thurgau im Land der Eidgenossen«, begann von Elfrich.
»Ich bin nicht nur Studiosus der Medizin, sondern auch Magister der Künste. Ich wurde im Jahre 1504 in Basel promoviert von Professor Johann Heinrich Wentz«, ergänzte ich, denn ich wollte von vornherein klarstellen, dass von Elfrich es nicht mit einem kleinen, unbedarften Studenten zu tun hatte.
Ob mir das gelang, wusste ich nicht, in jedem Fall sagte von Elfrich: »Nun, gehen wir in
medias res.
Ihr, Nufer, seid am Heiligabend des vergangenen Jahres ins Bordell gegangen.«
Er sagte es so, als hätte ich dort meine Lust gesucht. Abermals ärgerte ich mich. »Ich bin nicht aus freien Stücken dorthin gegangen«, sagte ich. »Ich wurde gerufen.«
»Gerufen, aha.« Von Elfrich wandte sich an den Protokollanten. »Habt Ihr das? Nufer sagt, er wäre gerufen worden.«
Der Protokollant nickte.
»Durch wen wurdet Ihr gerufen?«
»Durch Heddi.«
»Soso, durch Heddi?« Von Elfrich blickte spöttisch. »Ihr nennt den Namen so, als sei die Trägerin Euch recht vertraut. Heddi ist doch, wenn ich mich nicht irre, eine Hure?«
»Wollt Ihr mir irgendetwas unterstellen?«, fragte ich mühsam beherrscht.
»Aber nein!« Von Elfrich tat, als läge ihm nichts ferner.
Ich streckte mich. »Ich bin in das Bordell gegangen, weil besagte Heddi mich darum bat. Der Grund dafür war, dass eine junge Hure, fast noch ein Kind, nicht niederkommen konnte. Ihr Name ist Merle. Ich wollte Merle mit meinem ärztlichen Wissen zur Seite stehen.«
»Und habt sie deshalb aufgeschnitten!«
Ich schaute verdutzt.
Von Elfrich lachte glucksend. »Da staunt Ihr, was? Ihr fragt Euch, woher die Kirche das weiß. Ich sage Euch, Nufer, die Kirche weiß mehr, als manch einem lieb ist. In Eurem Fall weiß sie, dass Ihr Euch nicht an ihr Gebot gehalten und eine noch lebende Schwangere aufgeschnitten habt. Euch scheint nicht bekannt zu sein, was der heilige Augustinus gesagt hat:
Inter urinas et faeces nascimur,
zwischen Urin und Kot kommen wir zur Welt, so bestimmte er es, womit zweifelsohne der natürliche Vorgang gemeint war. Ihr aber habt dem zuwidergehandelt und damit das Leben des Kindes gefährdet.«
»Mir ging es um …«
»Es spielt keine Rolle, worum es Euch ging, Nufer. Ihr hättet wie vorgeschrieben den Tod der Mutter abwarten müssen und ihr danach den Mund öffnen und ein Holz zwischen die Zähne stecken müssen, denn das Kind atmet durch den Mund der Mutter.«
Die These, die von Elfrich da von sich gab, war in der Wissenschaft nicht unumstritten, aber ich hielt es für müßig, mit ihm darüber in einen Disput zu treten. Ich hatte schließlich ein besseres Argument. Ich sagte: »Verzeiht, Herr Bischofsvikar, ich denke, es ist besser, wenn beide, Kind und Mutter, die Geburt überleben. Und mit Gottes Hilfe war das der Fall.«
»Da irrt Ihr.«
»Wie bitte?«
»Ich sagte, da irrt Ihr.« Von Elfrich bereitete es sichtlich Vergnügen, mein fassungsloses Gesicht zu betrachten. »Die Mutter ist tot, und was noch schlimmer ist: das Kind auch.«
»Was sagt Ihr da?« Ich glaubte noch immer, mich verhört zu haben. »Als ich das Bordell verließ, waren Merle und das Kind wohlauf, so wahr ich hier stehe.«
»Und am anderen Tag verstarben beide! Ihr habt Euch versündigt, Nufer!«
Ich war sprachlos.
Von Elfrich fuhr fort: »Damit nicht genug, habt Ihr die Mutter in einen Zauberbann geschlagen, der sie sofort einschlafen ließ.«
»Ich … ich habe ihr nur vorgeschlagen, ein wenig zu schlafen.«
»Mit dem Erfolg, dass die Mutter so tief schlief, wie Ihr es nennt, dass sie nichts von der Operation spürte. Die Vermutung liegt nahe, Herr Studiosus Nufer, dass Ihr die Mutter für Eure Zwecke verhext habt. Ihr habt vorhin gefragt, ob dies eine peinliche Befragung sei, und ich habe Euch geantwortet, sie sei es nicht. Aber ich erkläre hiermit, dass sie es jederzeit zu einem neuen Zeitpunkt werden kann!«
Ich schwieg beeindruckt. Angst stieg in mir hoch. Aber schon redete von Elfrich weiter: »Da Ihr als Studiosus der universitären Gerichtsbarkeit untersteht, wird eine inquisitorische Anklage gegen Euch zunächst mit dem Rektor Tannstetter und anderen hohen Herren der Ruperto Carola abgestimmt werden müssen. Aber
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