Der Medicus von Heidelberg
besinnlich, mal fröhlich und ausgelassen, und merkten kaum, wie die Stunden verstrichen.
Erst spät am Abend trennten wir uns.
An einem der nächsten Tage stand Heddi wieder vor meiner Tür. Sie trat von einem Bein aufs andere und war ein wenig verlegen. »Ich soll von Muttchen ’nen Gruß ausrichten, Herr Medicus. Ob Ihr mal kommen könnt.«
»Jetzt gleich?«
»Ich denk schon.«
Ich musterte Heddi und stellte fest, dass sie viel weniger bunt gekleidet war als beim ersten Mal. Fast wie eine brave Bürgersfrau. »Worum geht es denn?«, fragte ich.
»Einer von uns geht’s nicht gut. Kommt Ihr nun?«
»Ich habe zwar noch einige andere Dinge zu tun, aber wenn es dringend ist, komme ich.« Ich nahm meinen Chirurgenkoffer und legte Schnapp das Halsband an. »Es gibt Arbeit, mein Großer«, sagte ich.
In der Großen Mantelgasse zeigte sich, dass eine der Huren, Lissi mit Namen, an einem starken Unwohlsein litt, dessen Ursache ich nicht sofort erkannte. Sie war grün im Gesicht, hatte starke Leibschmerzen und kalten Schweiß auf der Stirn. Nachdem ich sie eingehend untersucht hatte, ahnte ich etwas. »Was hast du gegessen?«, fragte ich.
»Grütze und Pilze«, stöhnte sie.
»Aha, weißt du auch, welche Art Pilze du verzehrt hast?«
»Weiß nicht. Gewässerte Hallimasch, glaub ich.« Lissi begann zu weinen.
»Weine nicht. Ich kann dir helfen.«
Ich rief Heddi herbei und trug ihr auf, zu Amandus van Ryjk, dem Apotecarius des Hospitals, zu laufen und Brechwurz zu besorgen. In der Zwischenzeit erklärte ich Lissi, was ich dachte: »Ich glaube, dass die Sache am Hallimasch liegt«, sagte ich zu ihr und den umstehenden Huren. »Besser gesagt, an dem, womit der Hallimasch häufig verwechselt wird – dem Gifthäubling. Lissi hat ihn versehentlich gegessen und sich eine Magenvergiftung zugezogen.«
Nachdem Heddi die Arzneiwurzeln besorgt hatte, gab ich Lissi davon, und alsbald musste sie sich heftig erbrechen. In Schüben kam die halb verdaute Nahrung aus ihrem Mund, und je leerer ihr Magen wurde, desto besser ging es ihr. »Sie muss viel trinken«, sagte ich zu Muttchen. »Am besten Milch, denn Milch entgiftet. Und sie muss sich schonen. Das heißt, heute kann sie nicht mehr, äh, arbeiten.«
»Natürlich, Herr Medicus. Ach, wir sind Euch ja so dankbar. Wie viel kriegt Ihr für Eure Dienste?«
»Nichts«, antwortete ich, denn ich wollte kein Geld. Außerdem wusste ich nicht, wie viel meine Leistung wert war.
»Wartet!«, rief Heddi. Sie lief davon und kam wenige Augenblicke später wieder zurück. »Hier, der is für Schnapp.«
Sie drückte mir einen großen Knochen in die Hand. Die Huren kicherten. Wahrscheinlich guckte ich ziemlich entgeistert und gab ein spaßiges Bild ab. Ich musste ebenfalls schmunzeln. »Nun«, sagte ich, »ich glaube nicht, dass Schnapp gegen diese Bezahlung etwas einzuwenden hat. Er wird den Knochen zu Hause bekommen. Ich muss nun gehen. Guten Tag, Muttchen, guten Tag, ihr Mädchen.«
»Guten Tag, Herr Medicus.«
Ein anderes Mal wurde ich gerufen, weil eine der Huren sich die Hand mit kochendem Wasser verbrannt hatte. Ich verschrieb ihr eine Salbe aus den Blüten der Kamille und der Ringelblume.
Dann ergab es sich, dass eine unter einer starken Erkältung litt. Ich verordnete einen heißen Holundertrank, damit sie tüchtig schwitzte, aufgegossene Weidenrinde und Hühnersuppe.
Gegen die roten juckenden Striemen an den Armen, unter denen eine andere litt, konnte ich durch Bäder mit Eichenrinde und Nachtkerze Abhilfe schaffen. Dazu durch Malvenblätter, die van Ryjk nach meinen Anweisungen in Rinderharn gekocht hatte.
Einen Bruch des Unterarms konnte ich ohne Komplikationen richten. Es schien, als gebe es bei den Huren immer irgendein Zipperlein zu kurieren.
Irgendwann in diesen Tagen nahm Koutenbruer mich beiseite und sagte: »Es spricht sich langsam herum, dass Ihr im Bordell in der Großen Mantelgasse ein und aus geht. Nicht dass ich etwas dagegen hätte, ein Fieber ist ein Fieber, und ein Zipperlein ein Zipperlein, ganz gleich, ob es bei einer braven Handwerkersfrau oder bei einer Hure auftritt. Aber vielleicht solltet Ihr doch etwas mehr auf Euren Ruf achten.«
»Die Mädchen sind mir sehr dankbar.«
»Ich weiß, ich weiß. Sie singen Euer Lied, und Ihr arbeitet für Gotteslohn. Meistens jedenfalls. Aber unterschätzt die lieben Kollegen nicht. Manch einer neidet Euch Euren schnellen Aufstieg zum Medicus
universitatis
und redet schlecht über Euch und das, was Ihr tut.
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