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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Philipp, Kurfürst von Gottes Gnaden, Pfalzgraf bei Rhein, im Namen der Herren Schultheißen und des Rates der Stadt Heidelberg erkläre ich das alljährliche Armbrustschießen für eröffnet. Möge Gott den Schützen eine ruhige Hand und ein sicheres Auge schenken.«
    Allgemeiner Beifall begleitete ihn, als er sich entfernte. Ein Helfer trat an mich heran und teilte mir mit, ich sei zum Führer meiner Gruppe ausersehen. Ich habe dafür zu sorgen, dass die Gruppe nicht auseinanderliefe, ferner dafür, dass die Mitglieder sich nicht betränken und dass jeder ohne Verzögerung zum Schießen antrete. Es seien insgesamt über zweihundert Schützen, eingeteilt in Gruppen zu je neun Mann, da sei eine schnelle Abwicklung vonnöten. Wenn es so weit sei, würden wir aufgerufen. In der ersten Runde schieße jeder dreimal auf eine Scheibe. Die Ergebnisse würden von Schreibern festgehalten. Dann folge die zweite Runde, und in der dritten schließlich würden die Sieger gekürt.
    Ich betrachtete die Männer, die mit mir eine Gruppe bildeten. Sie waren allesamt brave Bürger der Stadt, mancher schon leicht schwankend. Ein Braumeister war dabei, ein Mann, dessen Körper an die Fässer erinnerte, die mit dem Produkt seiner Arbeit gefüllt wurden. Ein Goldschmied gehörte dazu, eher ein Künstler als ein Handwerker, mit feingliedrigen Fingern und einem Kopf, der dem einer Erdkröte glich. Ein anderer war Zinngießer, ein alter, schwächlicher Mann, bei dem ich mich fragte, wie er die schwere Armbrust halten wollte. Und so ging es weiter. Von allen, so schien mir, war ich der Jüngste.
    Einmal begonnen, wurde der Wettbewerb zügig durchgeführt. Gruppe auf Gruppe trat in Dreierreihen vor den Schießscheiben an, jedem Teilnehmer wurde eine Armbrust gereicht. Die Männer hatten jeweils drei Schuss, ihre Ergebnisse wurden festgehalten, dann kamen die Nächsten.
    Als man mir die Armbrust reichte, staunte ich, wie schwer sie war. Ganz anders als das Gerät aus Kindheitstagen, das mein Vater mir einst geschenkt hatte. Seitdem hatte ich nie wieder mit einer Armbrust geschossen, und ich befürchtete, mich zum Gespött zu machen. Andererseits erinnerte ich mich gut daran, worauf es bei der Abgabe des Schusses ankam, und ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich trotz meiner verkrüppelten Rechten auch die Handhabung der Steinschleuder erlernt hatte.
    »Herr Medicus, Ihr seid dran!« Ein Schreiber blickte mich auffordernd an.
    »Ja, gewiss«, antwortete ich. Ich drückte den Schaft fest an die rechte Wange und zielte über die Visierklappe auf die Scheibe. Sie bestand aus drei Ringen und einem leuchtend roten Mittelpunkt. Wer ihn traf, erhielt den Höchstwert. Wer schlechter zielte und nur einen der Ringe traf, entsprechend weniger. Flog der Bolzen vorbei, gab es nichts außer dem Gelächter der Zuschauer.
    »Nun macht schon!«
    »Jawohl.« Ich konzentrierte mich, atmete mehrmals ein und aus und betätigte beim letzten Ausatmen den Abzugshebel. Mit ungeheurer Wucht schoss der Bolzen auf sein Ziel zu.
    Neben mir hatten der Braumeister und der Goldschmied ebenfalls geschossen. Der Braumeister hatte überhaupt nicht getroffen, der Goldschmied den Rand seiner Scheibe, ich selbst einen der inneren Ringe. Ich war froh, nicht allzu schlecht abgeschnitten zu haben, und wollte mit meinen Nebenleuten über unsere Ergebnisse reden, doch man ließ mir keine Zeit dazu. Einer der Helfer hatte bereits wieder einen Bolzen auf die Armbrust gelegt und sie gespannt. »Der nächste Schuss, Herr Medicus!«
    Diesmal schoss ich haarscharf am Mittelpunkt vorbei.
    Der dritte Schuss lag ähnlich gut.
    Dann ging es weiter, Schlag auf Schlag. Nach uns kam die nächste Gruppe, dann die übernächste … immer weiter, bis der erste Durchgang beendet war.
    Beim zweiten Durchgang gelang es mir, einmal direkt in die Mitte zu treffen. Der Braumeister schoss wieder daneben, wohl, weil er zu sehr schwankte. Die Menge lachte über sein Missgeschick, und er lachte mit, stieß einen gewaltigen Rülpser aus und verkündete, der Wettkampf sei für ihn vorbei, er wolle lieber einen anständigen Schluck zur Brust nehmen.
    Beim dritten Durchgang stand ich neben dem Goldschmied und dem alten Zinngießer. Ich schaffte es, den Bolzen zweimal ins Rote fliegen zu lassen.
    Danach hieß es warten. Ich machte mir keine Hoffnungen auf einen Preis, denn ich hatte viele Teilnehmer gesehen, die wesentlich besser schossen. Umso überraschter war ich, als einer der Schreiber auf mich zukam und

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