Der Medicus von Heidelberg
›Heidelberg hat einen neuen Medicus, den Medicus der Huren‹, so höhnt man, und das ist beileibe nicht die einzige Verunglimpfung: Requiem-Doktor, Hodenschneider, Pseudomedicus, Knochenbrecher und Harnglotzer sind ebenfalls Beschimpfungen, die man hört.«
Ich biss mir auf die Lippen, denn das, was Koutenbruer sagte, verletzte mich. Aber ich wollte mich nicht beirren lassen. »Ich habe den Eid des Hippokrates geleistet«, sagte ich trotzig. »Ich mache keinen Unterschied, ob ein Patient arm oder reich, alt oder jung, geachtet oder verschrien ist. Der Mensch soll der Mittelpunkt meiner Kunst sein, nicht das Geld. Das müsstet Ihr doch verstehen.«
Koutenbruer machte eine abwehrende Geste. »Großer Gott, Nufer, ich wollte Euch nicht zu nahe treten! Ich bin Humanist, genau wie Ihr, und die Mitgliedschaft in der
Sodalitas litteraria Rhenana
vereint uns. Wenn ich Euch eben vor den lieben Kollegen gewarnt habe, dann war es nur gut gemeint.«
»Dafür bin ich Euch sehr verbunden. Verzeiht, wenn ich etwas zu heftig war. Ich weiß, dass ich Euch viel zu verdanken habe.«
»Reden wir nicht weiter davon. Ein wenig Ruhm fällt immer auch auf den Professor, wenn ein begabter Schüler promoviert. Ach, da ich gerade von Begabung rede: Seid Ihr ein guter Schütze?«
»Wie meint Ihr?«
»Am sechzehnten Februar, dem Dienstag vor Aschermittwoch, findet wieder das jährliche Armbrustschießen in der Grabengasse statt. Habt Ihr Lust, daran teilzunehmen?«
Das freundliche Angebot kam etwas plötzlich, weshalb ich unschlüssig war. »Ist das nicht den Bürgern vorbehalten?«, fragte ich.
Kotenbruer wischte sich mit dem Zeigefinger die Nase, einmal hin, einmal her. »In der Tat, das ist es. Aber es gibt Ausnahmen. In diesem Jahr hat der Rat beschlossen, dass sechs Personen der Ruperto Carola zusätzlich mitmachen dürfen. Die Bedeutung der Universität soll damit unterstrichen werden. Tannstetter ist darüber sehr erfreut. Er hat entschieden, drei Lehrende und drei Lernende zu benennen. Die Auswahl der Teilnehmer ist mir zugefallen. Nun, habt Ihr Lust?«
»Wenn Ihr mich so fragt, ja. Ich weiß allerdings nicht, ob ich eine gute Figur dabei abgeben werde.«
»Das werdet Ihr schon.«
»Und Ihr, nehmt Ihr auch an dem Wettbewerb teil?«
»Als Zuschauer, mein lieber Nufer, nur als Zuschauer! Also dann, bis Dienstag?«
»Bis Dienstag.«
Der Dienstag war ein grauverhangener Tag. In der Frühe hatte es noch geregnet, doch gegen zehn Uhr am Vormittag hörte es auf, zur Erleichterung der Menschen, die aus allen Richtungen herbeigeströmt waren. Sie drängten sich dicht an dicht, sangen, aßen und tranken, denn es war Fastnacht, der letzte Tag vor der vierzigtägigen Fastenzeit bis Ostern.
Doch daran verschwendete niemand einen Gedanken. Bis hinunter zum Neckar säumten allerlei Ritter, Teufel, Bischöfe, Engel oder Adelsfräulein die Gasse. Knechte und Herren hatten die Rollen getauscht. Viele von ihnen trugen bunte Masken oder Kronen, sogar ein falscher Papst mit Tiara auf dem Kopf war dabei.
Plötzlich kam Unruhe in die Menge. Eine lange Kette von tanzenden Männern näherte sich, sie hielten Verbindung zueinander mittels übergroßer Würste. Es waren die Heidelberger Metzger, die eines ihrer Zunftlieder in den trüben Tag hinausschmetterten und sich um nichts als ihren Spaß scherten. Ihnen folgten mehrere Narren, deren Kostüme Liebe, Leid und Vergänglichkeit symbolisierten. Sie hielten in Vorbereitung des folgenden Schießens falsche Armbrüste in den Händen und zielten mit den absonderlichsten Verrenkungen auf jedermann, der ihnen in den Weg geriet. Besonders jedoch auf die Geistlichkeit und Obrigkeit. Ein Narrenfresser mit riesigem Maskenmaul, thronend auf einem Gefährt, das auf Schlittenkufen über das Kopfsteinpflaster gezogen wurde, erregte jubelnde Heiterkeit. In seinem Maul steckten puppenkleine Figuren, all jene Männer darstellend, die vor ihren Frauen flüchteten.
Wenig später traten Wachsoldaten auf, welche die Menge zurückdrängten, denn es war Zeit, die Schussbahn frei zu machen. Andere Helfer bauten vor dem Neckarufer drei Schießscheiben auf.
Ich stand etwas verloren mit den Teilnehmern meiner Gruppe etwa fünfzig Schritt von den Scheiben entfernt und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Ein prächtig gekleideter Bediensteter der Stadt, vielleicht eine Art Herold, erschien auf der Schussbahn und verschaffte sich mit weithin schallender Stimme Gehör. »Im Namen unseres geliebten Landesherrn
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