Der Medicus von Heidelberg
gehe jetzt. Meister Karl, der auf Schnapp aufpasst, macht sich womöglich schon Sorgen um mich.«
»Grüße ihn«, trug Fischel mir zum Abschied auf. »Wenn er dein Freund ist, ist er auch meiner.«
»Das mache ich.«
Einen Tag später, es war der Freitag vor Palmsonntag, fragte ich mich, was als Nächstes zu tun sei. Sollte ich zur Heiliggeistkirche gehen und dort versuchen, Chlodwigus zu treffen? Oder sollte ich zum Hospital gehen, wie ich es Cecilia versprochen hatte? Ich entschied mich für das Hospital, wo ich – wie erwartet – die Kundige Frau antraf. Sie berichtete mir, unter welchen Beschwerden die Kranken litten und welche Maßnahmen dagegen ergriffen worden waren. Sie gab sich viel Mühe, meine Fragen zu beantworten, doch bei jeder ihrer Erklärungen dachte ich an Rosanna und daran, was diese wohl an ihrer Stelle gesagt hätte. In der Tat fehlte Rosanna mir sehr.
Ich untersuchte eine alte Frau, die an einem hartnäckigen Catarrhus litt. Zäher Schleim in Rachen und Nase machten ihr seit Tagen das Luftholen schwer. »Der Kopf muss höher gebettet werden, damit die Frau besser atmen kann«, sagte ich gerade zu Cecilia, als ein Fremder auf uns zutrat.
»Was wollt Ihr hier?«, fragte Cecilia ihn ungehalten. »Dies ist der Krankensaal der Frauen, hier haben Männer nichts zu suchen.«
Der Fremde murmelte eine Entschuldigung und wandte sich an mich. »Ich soll Euch holen«, sagte er.
»Mich holen?« Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück. Doch meine Reaktion war natürlich übertrieben, zumal mir der Mann bekannt vorkam. »Worum geht es?«, fragte ich mit einigermaßen fester Stimme.
»Muttchen schickt mich«, antwortete der Fremde.
»Muttchen, aha.« Es mochte sein, dass ich den Mann schon einmal im Bordell gesehen hatte. Vielleicht als Gaffer bei einer meiner Behandlungen.
»Ja, Herr Medicus. Kann ich Euch unter vier Augen sprechen?«
Ich überlegte. Sicher wollte der Fremde es vermeiden, dass Cecilia, die wie alle Kundigen Frauen sehr fromm war, seine Botschaft aus dem Hurenhaus mitbekam. »Gut, gehen wir ein paar Schritte zur Seite.«
Als wir ungestört waren, sagte der Fremde mit gesenkter Stimme: »Eine der Huren kann nicht gebären. Muttchen bittet Euch, rasch zu kommen.«
Darum also ging es. Eine schwierige Entbindung. Ich spürte Genugtuung, dass Muttchen sich an mich gewandt hatte. Andere Ärzte hätten auf das Vertrauen einer Bordellmutter wohl wenig gegeben, aber mich machte es stolz. »Gut«, sagte ich. »Bestelle Muttchen, dass ich mich auf den Weg mache, sobald ich meinen Rundgang durch den Krankensaal beendet habe.«
Der Mann bedankte sich und verschwand.
Ich ging zurück zu der alten Frau mit dem Catarrhus und überzeugte mich davon, dass meine Anweisungen befolgt worden waren. »Könnt Ihr jetzt besser atmen?«, fragte ich sie.
»Ja, Herr Medicus.«
»Das ist gut.« Ich wandte mich an Cecilia und fragte: »Was gebt Ihr der Frau, damit sie schwitzen kann?«
»Einen heißen Aufguss von Holunderbeeren.«
»Schön. Und lasst sie regelmäßig mit Kamille inhalieren.«
Danach untersuchte ich die restlichen Kranken, besprach die Schritte der Therapie und schickte mich an zu gehen. »Ich habe noch eine Verabredung.«
»Sicher mit dem Mann, der uns vorhin gestört hat?«, fragte Cecilia.
»Nein«, sagte ich, »mit jemand anderem.«
Ich verließ das Hospital und war überrascht, den Fremden auf der Straße erneut zu erblicken. »Was macht Ihr noch hier?«, fragte ich ihn.
Der Mann verbeugte sich und wies auf eine schwarze Kutsche. »Damit geht es schneller, Herr Medicus.«
»Gewiss«, sagte ich. »Ich wusste gar nicht, dass Muttchen eine Kutsche hat«, und stieg ein.
Der Fremde setzte sich neben mich und rief dem Kutscher einen Befehl zu. Die Pferde zogen an. Ich blickte aus dem Fenster und erkannte, dass der Wagen nicht hinunter zum Neckar fuhr, sondern zum Schloss. »Ihr fahrt in die falsche Richtung«, sagte ich. »Da stimmt etwas nicht!«
»Oh doch«, sagte der Fremde und kicherte.
»Lasst sofort anhalten. Ich will aussteigen!«
Der Fremde kicherte weiter. Erst jetzt sah ich, dass ihm eine Hand fehlte. Immerhin hielt die Kutsche. Ich wollte die Tür aufstoßen, aber sie ging von selbst auf. Eine Gestalt erschien in der Öffnung, einem Schatten gleich. Ich wollte etwas sagen, doch ich kam nicht mehr dazu. Ein harter Schlag raubte mir die Sinne.
Das Letzte, was ich wahrnahm, war ein starker Knoblauchgeruch.
Ich wachte auf, weil mir irgendetwas ins
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