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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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frühlingshafter Tag. Überall zeigte sich zartes Grün, Knospen brachen hervor, und das Zwitschern der Vögel war wie Gesang. Der Weg führte meine vierbeinigen Gefährten und mich am südlichen Ufer des Rheins entlang, vorbei an den letzten Spuren der großen Stadt, hinaus aufs Land, wo die noch winterfeuchten Felder schon für die nächste Ernte bestellt wurden. Nur wenige Menschen begegneten uns, doch das war mir willkommen, denn ich wollte mit meinen Gedanken allein sein.
    Am frühen Vormittag überquerten wir ein quellklares Flüsschen kurz vor einem Marktflecken namens Kaiseraugst, und ich beschloss, hier eine Rast einzulegen. Aaron sollte trinken und Schnapp sein Geschäft hinter einem Strauch verrichten. Ich selbst wollte meine Decke ausbreiten und mich für eine Weile hinlegen. Der Grund dafür war weniger meine Müdigkeit, als vielmehr mein brennendes Gesäß. Ich war es nicht mehr gewohnt, zu reiten.
    Eine Zeitlang lag ich so da. Ich genoss die Ruhe, hörte Aaron die Grashalme abrupfen und spürte die feuchte Hundenase von Schnapp, der sich in meine Halsbeuge kuschelte. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte ich Muße. Niemand sagte mir, was ich zu tun hatte, kein Lehrplan bestimmte meinen Tagesablauf, niemandem war ich für etwas Rechenschaft schuldig. Ich streckte die Glieder und dachte: So könnte es immer sein.
    Doch natürlich war es nicht so. Pferdewiehern und das Knallen einer Peitsche schreckten mich auf. Ein von zwei Rössern gezogenes Gefährt näherte sich rasch. Auf dem Bock saß eine seltsam anmutende Gestalt, klein, gekrümmt, mit schiefsitzender Filzkappe über einem Gesicht, in das sich ein Netz aus tausend Falten und Fältchen gegraben hatte.
    Konnte das der Fahrer der Überlandkutsche aus Zürich sein?
    Ich rappelte mich auf, ließ Schnapp in meiner Tasche verschwinden und hob den Arm. »Halt!«, rief ich. »Bitte haltet an.«
    Der Wagen hielt tatsächlich. Dicht vor mir kamen die Rösser zum Stehen. Die seltsame Gestalt rammte den Peitschenstiel in die Halterung und rief mit krächzender Stimme: »Gott zum Gruße. Was wollt Ihr, Pater?«
    »Pater?«, fragte ich verständnislos. Dann fiel mir ein, dass ich die Franziskanerkutte trug, zu der mir Schwester Edelgaard verholfen hatte. »Nun, ich bin kein Pater, ich …«
    Die Gestalt lachte meckernd. »Vielleicht seid Ihr keiner, aber Ihr seht so aus. Einerlei, gebt mir Euren Segen, dann muss ich weiter.«
    »Einen Moment noch.« Ich hielt es für klüger, keine langatmigen Erklärungen über meine Kleidung abzugeben, und sagte: »Ich möchte einen Platz in Eurer Kutsche. Ihr fahrt doch nach Norden ins Land der Deutschen?«
    »Das tue ich, Pater. Aber leider ist in der Kutsche alles besetzt. Ihr müsst schon Euren eigenen Gaul reiten, wenn Ihr nach Norden wollt. Und nun: Gott befohlen.«
    »Halt!«, rief ich abermals. Das Ergattern eines Sitzplatzes hatte ich mir leichter vorgestellt. »Aaron ist schon einundzwanzig Jahre alt. Ich würde ihn zuschanden reiten, wollte ich ihm eine so lange Strecke zumuten. Kann ich nicht neben Euch auf dem Kutschbock sitzen?«
    »Ihr seid von der hartnäckigen Sorte, Pater. Aber meinetwegen. Ein Schwätzchen während der langen Fahrt kann nicht schaden, wenn Ihr’s mit dem lieben Gott nicht übertreibt. Bindet Euren Gaul hinten am Wagen fest. Aber lasst Spiel in der Leine, damit er beim Laufen Bewegungsfreiheit hat. Und packt Eure Sachen oben aufs Kutschendach und zurrt sie gehörig fest. Dann kommt zu mir herauf.«
    »Habt Dank.«
    »Beeilt Euch, ich hab keine Zeit zu verlieren.«
    Ich folgte den Anweisungen, so schnell ich konnte, und saß wenig später hoch oben auf dem Kutschbock. Der Alte neben mir krächzte: »Ihr habt Glück, Pater, dass die Brücke in Rheinfelden nicht mehr befahrbar ist. Sonst wär ich schon da nach Norden abgebogen, und Ihr hättet mich verpasst.« Während er das sagte, blickte er mich zum ersten Mal direkt an, und ich sah, dass ich es nicht mit einem alten Mann zu tun hatte, sondern mit einem hochbetagten Weiblein.
    »Da staunt Ihr, was?« Die Alte lachte und zeigte dabei einen einzelnen Zahn.
    »Äh, allerdings.«
    »In diesen Zeiten muss jeder seinen Mann stehen, auch wenn er eine Frau ist.« Wieder lachte die Alte. »Aber Spaß beiseite. Drei Jahre ist’s her, dass mein Gottfried die Augen für immer zugemacht hat. Der Schlagfluss war’s. Da blieb mir nichts anderes übrig, als seine Kleider anzuziehen und für ihn auf den Bock zu klettern. Von irgendwas muss der Mensch ja

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