Der Medicus von Heidelberg
besiegt. »Gertrud«, sagte ich abermals, »du hättest mich nur fragen müssen, ich wäre den letzten Weg mit dir gemeinsam gegangen. Aber ich glaube, du wolltest ihn allein gehen.«
Ich blickte mich um. Der Ort, an dem Gertrud lag, bot einen unvergesslichen Ausblick nach allen Seiten. Am Fuße des Hügels schlängelte sich die Straße dahin, die Straße, die Gertrud so geliebt hatte, und auf der anderen Seite sandte ihr der Schwarzwald mit seiner wohl schönsten Erhebung einen letzten Gruß. Es war ein langgestreckter Bergrücken, zum Teil noch schneebedeckt, der seit alters her die Hornisgrinde geheißen wurde.
Ich strich sanft über Gertruds zahllose Fältchen und sagte: »Du hast dir einen schönen Platz für die Ewigkeit ausgesucht, Gertrud, ich werde dich hier begraben. Und wenn ich dich begraben habe, werde ich ein Gebet für dich sprechen und den Herrgott bitten, dass er dich in sein Himmelreich aufnimmt.«
Dann kamen mir die Tränen, und ich wandte mich ab, um Schaufel und Spaten zu holen.
Kapitel 4
Durlach, Heilbronn,
25 . bis 28 . März 1504
G ertrud war ein guter Mensch«, sagte Thérèse zu mir, als wir Baden hinter uns gelassen hatten und auf Durlach zuhielten. »Sie wird in Frieden auf ihrem Hügel ruhen.«
»Das hoffe ich sehr«, antwortete ich und musste an die Umstände denken, unter denen wir sie beerdigt hatten. Zwei Tage lag das zurück, doch jede Einzelheit stand mir vor Augen, als wäre sie gerade erst geschehen. Thérèse hatte geweint, als sie vom Tode Gertruds erfuhr, und Steisser hatte gefragt, wie er denn nun nach Würzburg kommen solle.
»Wenn Ihr mir nicht helft, die alte Frau zu begraben, werdet Ihr niemals hinkommen«, hatte ich ihn angefahren. »Dann lasse ich Euch und Euer Weib hier zurück, und Ihr könnt sehen, wo Ihr bleibt.«
»Das würdet Ihr fertigbringen? Ihr, ein Gottesmann?«
Statt einer Antwort hatte ich ihm die Schaufel in die Hand gedrückt. Danach waren wir gemeinsam den Hügel hinaufgestiegen, der kurzatmige Steisser, seine hochnäsige Frau, die sich zunächst geweigert hatte, die Kutsche zu verlassen, Thérèse, die Schnapp im Arm hielt, und ich. Als wir den Findling, an dessen Fuß Gertrud noch immer wie schlafend lag, erreichten, schlug ich das Kreuz und senkte den Kopf in stillem Gebet. Meine Begleiter taten es mir nach.
Dann begannen wir zu graben. Trotz der traurigen Situation bereitete es mir ein grimmiges Vergnügen, den Fettwanst Steisser dabei zu beobachten, wie er mit seinen Patschhänden die Schaufel umklammerte und unter Geschnaufe und Gekeuche die Erde aushob.
Als die Grube schließlich tief genug war, lief ihm der Schweiß in Strömen herab, und auch ich spürte die Anstrengung, denn ich war harte Arbeit nicht gewohnt. Schnapp hatte mit seinen Welpenpfoten die ganze Zeit mitgegraben, ebenso eifrig wie sinnlos, und ein ums andere Mal an Gertruds Körper geschnuppert. Gewiss spürte er, dass etwas an ihr anders war. Bevor wir Gertrud in ihr Grab betteten, durchsuchte ich ihre Taschen und fand ein paar Habseligkeiten sowie eine hübsche Summe Geld. Mir war keineswegs wohl dabei, aber ich nahm die Münzen an mich, denn wir würden sie auf der Weiterfahrt dringend brauchen. Allein das Futter für die Pferde und ihre nächtliche Unterbringung in den Gasthöfen würde eine Menge kosten.
Gertruds andere Habe setzte sich aus wenigen Dingen zusammen. Eine Haartolle, die wohl von ihrem verstorbenen Gottfried herrührte, dazu ein längliches Knöchelchen, vermutlich vom Finger eines Heiligen, das ihr als Glück bringende Reliquie gedient haben mochte, und schließlich ein Reisepass mit dem Siegel der Stadt Zürich, aus dem hervorging, dass sie mit vollem Namen Gertrud Theodora Zwicky hieß, im Februar 1437 geboren war und als besonderes Merkmal die Größe von nur viereinhalb Fuß aufwies. Das war schon alles.
Während ich die Sachen zurücksteckte, überlegte ich, ob ich mit Gertrud die Kleider tauschen sollte, um endlich die Franziskanerkutte ablegen zu können, aber ich unterließ es. Ich hatte Scheu, mich vor den Augen Steissers und seiner Frau auszuziehen. Überdies hätte ich beiden die Hintergründe für meine äußere Erscheinung erklären müssen, und auch das wollte ich nicht. Also musste ich ihnen die Rolle des Mönchs weiter vorspielen.
Nachdem wir Gertrud in die Grube gehoben und ihr die Arme kreuzweise über die Brust gelegt hatten, hielt ich eine Andacht aus dem Stegreif, froh, an keine Liturgie gebunden zu sein, denn kirchliche
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