Der Medicus von Heidelberg
Luft war voller Frühling. Am Abend hatten wir über die Hälfte des Weges geschafft, Maulbronn lag hinter uns, und wir näherten uns einer Ortschaft namens Sternenfels, wo wir in der
Burg,
einem alteingesessenen Wirtshaus, Unterkunft fanden.
Nachdem der Wirt uns die Kammern zugewiesen und ich mich um Castor, Pollux und meinen guten Aaron gekümmert hatte, fand unsere kleine Reisegesellschaft sich im Schankraum ein, wo wir wie üblich an getrennten Tischen aßen. Thérèse trug an diesem Abend nicht ihr einfaches Kittelkleid aus Blautuch, sondern ein grasgrünes Kleid mit enger Taille und freizügigem Mieder. Sie hatte die Haube fortgelassen und ihre blonden Haare mit rotkupfernen Nadeln zu einer hübschen Frisur zusammengesteckt. Ich fragte mich, ob sie das für mich getan hatte, doch ich kam nicht dazu, darüber nachzudenken, denn Steissers hochnäsige Frau sagte laut zu ihrem Fettwanst: »Die Speisen in den Gasthöfen werden auch immer schlechter. Wer soll nur diese Suppe essen! Dünn wie Wasser. Ohne jegliches Fleisch. Der Eierkuchen, um den ich bat, wurde nicht gebracht, angeblich, weil keine Eier da seien. Stell dir vor, ein Gasthaus ohne Eier! Einen Brei aus Dinkel hat man mir angeboten, nur den Brei, nicht einmal Honig dazu. Stell dir vor, ein Gasthaus ohne Honig! Ach, wenn wir doch erst in Würzburg wären.«
»Da musst du dich noch ein wenig gedulden«, antwortete ihr Mann mit vollem Mund. Ihm schien es trotz allem zu schmecken.
»Und erst die Gäste! Man ist nur noch von Bauern, Knechten und Huren umgeben.« Während des letzten Teils ihres Satzes hatte sie die Stimme noch mehr erhoben, so dass auch der Letzte im Raum ihre Worte verstehen konnte. Dabei blickte sie Thérèse unverwandt an. Kein Zweifel, das war eine schwere Beleidigung.
Thérèse an meiner Seite schien zu erstarren. Für ein paar Atemzüge sagte sie nichts, und ich dachte schon, sie würde es dabei belassen, vielleicht, weil sie die Hochnäsige bei anderer Gelegenheit gekränkt hatte, denn sie konnte sehr direkt sein. Doch dann legte Thérèse los: »Ich war neulich auf einem Feld mit Bohnenstangen«, rief sie in der derselben Lautstärke wie ihre Kontrahentin. »Sie standen dicht an dicht, fast wäre ich über eine gestolpert.«
Dann hielt sie inne und aß weiter. Wie erwartet, sahen sich die Gäste – auch Steisser und seine Frau – fragend an.
»Ja, und?«, brummte einer, der zwei Tische weiter saß und sich einem großen Krug Bier widmete. »War es das schon?«
»Nein.« In Thérèses Stimme lag Triumph. »Die Bohnenstange trug ein zitronengelbes Kleid ohne Taille, mit einem Mieder, so flach wie ein Brett, und vorn offenem Rock.« Natürlich war das beschriebene Gewand genau das, welches Steissers dürre Gemahlin anhatte. Sie brauchte einen Augenblick, um die Gemeinheit zu verdauen, dann stand sie auf und rauschte zu uns herüber. »Das sollst du mir büßen, du unverschämtes Luder!«, schrie sie Thérèse ins Gesicht.
Thérèse sprang ebenfalls auf und schrie zurück: »Nur zu, du hochnäsige Ziege!«
Und so ging es weiter. Es fehlte nur noch, dass sie einander die Augen ausgekratzt hätten, aber die Vorstellung war auch so schon beeindruckend genug. Beide Damen schenkten sich nichts, und ich staunte mehrfach, über welch reiche Auswahl an Schimpfwörtern sie verfügten.
»Darf ich Euch auf ein Bier einladen, Hochwürden?« Plötzlich stand Steisser neben mir. Ich weiß nicht, was ihn geritten hatte, sich von seiner spendablen Seite zu zeigen, vielleicht war es die Verständnisinnigkeit, die immer dann zwischen Männern aufkommt, wenn Frauen sich streiten, jedenfalls lachte er und sagte mit seiner öligen Stimme: »Hätte nicht gedacht, dass ich den Tag noch erlebe, wo jemand meiner Alten gewachsen ist. Was ist nun, zwitschern wir einen?«
»Aber nur, wenn es Dünnbier ist.«
»Jaja, ich weiß, die Fastenzeit. Kommt.« Er schob mich zu dem Fass in der Ecke und bedeutete dem Wirt, er möge zwei Becher füllen. Dann setzten wir uns, während die Damen unermüdlich weiterstritten. Nachdem wir getrunken hatten, wischte Steisser sich den Schaum vom Mund und sagte: »Nicht übel die Kleine, die bei Euch vorn mit auf dem Kutschbock sitzt, Hochwürden. Wahrlich nicht übel.« Er unterdrückte halbherzig einen Rülpser, zwinkerte anzüglich mit einem Auge und fuhr fort: »Sagt, Ihr habt doch wohl nichts mit ihr?«
»Habt Ihr mir einen ausgegeben, um mich das zu fragen?«, entgegnete ich.
Er lachte, und sein Lachen klang, als
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