Der Medicus von Saragossa
von einer zehrenden Krankheit befallen worden. Der König, ein robuster Mann, dessen Widerstandskräfte von Jahren des Jagens und Kriegführens gestärkt waren, hatte sich schnell wieder erholt, doch seine Gemahlin war stetig schwächer geworden. Jetzt hatte sich Isabellas Zustand während eines Besuchs in der Stadt Medina del Campo bedrohlich verschlechtert, und Ferdinand hatte verzweifelte Rufe an ein halbes Dutzend Ärzte ausgesandt, darunter auch an Nuño Fierro, den Arzt von Saragossa.
»Aber dem kannst du unmöglich Folge leisten«, wandte Jona vorsichtig ein. »Nach Medina del Campo ist es ein Ritt von zehn Tagen. Acht Tage, wenn du dich umbringst.« Er meinte das wörtlich, denn er wußte, daß Nuño nicht mehr der Kräftigste war und eine solche Reise nicht unternehmen sollte.
Doch der Arzt blieb stur. »Sie ist meine Königin. Ein Herrscher, der Hilfe braucht, muß ebenso gewissenhaft behandelt werden wie jemand aus dem einfachen Volk.«
Als Jona und Reyna ihn mit vereinten Kräften bestürmten, daß er einen Helfer auf die Reise mitnehmen müsse, ließ Nuño sich schließlich erweichen und stellte Andres de Ávila, einen Mann aus der Stadt, als Begleiter ein. Früh am nächsten Morgen brachen die beiden auf.
Sie kehrten zu früh zurück, und in schlechtem, feuchtem Wetter. Jona mußte Nuño vom Pferd helfen. Während Reyna dafür sorgte, daß der Arzt unverzüglich ein heißes Bad bekam, erzählte Ávila Jona, was vorgefallen war.
Die Reise war so schlimm gewesen, wie Jona befürchtet hatte. Ávila berichtete, daß sie viereinhalb Tage geritten seien. Bei einem Wirtshaus knapp außerhalb der Stadt Atienza angekommen, habe er feststellen müssen, daß Nuño zu erschöpft zum Weiterreiten war.
»Ich überredete ihn, Rast zu machen und etwas zu essen, um Kraft für den Weiterritt zu sammeln. Doch in dem Wirtshaus fanden wir Leute, die auf das Andenken der Königin Isabella tranken.«
Ávila erzählte, Nuño habe mit heiserer Stimme gefragt, ob die Zecher sicher wußten, daß sie gestorben sei, und andere Reisende aus dem Westen versicherten ihm, daß die Leiche der Herrscherin bereits nach Granada zur Beisetzung in der königlichen Gruft geschafft werde.
Nuño und Ávila hatten eine unruhige Nacht im verlausten Schlafsaal des Gasthauses zugebracht, und am nächsten Morgen machten sie sich auf den Rückweg nach Saragossa. »Diesmal ritten wir gemächlicher«, sagte Ávila, »aber diese Reise stand in jeder Hinsicht unter einem schlechten Stern, und den ganzen letzten Tag mußten wir durch kalten, stürmischen Regen reiten.« Jona war besorgt, als er sah, wie erschöpft und blaß Nuño auch nach dem Bad noch war. Er brachte den Arzt sofort ins Bett, und Reyna nötigte ihm warme Getränke und nahrhaftes Essen auf. Nach einer Woche Bettruhe war er etwas erholt, aber der vergebliche Ritt zu einer sterbenden Königin von Spanien hatte seine beschränkten Kräfte beinahe aufgezehrt.
Es kam die Zeit, da Nuños Hände so zitterten, daß er die chirurgischen Instrumente nicht mehr benutzen konnte, die sein Bruder für ihn gefertigt hatte. Jona benutzte sie an seiner Stelle, wobei der Arzt neben ihm stand und ihn anleitete, erklärte und Fragen stellte, die für den Lehrling herausfordernd und lehrreich waren.
Vor der Amputation eines kleinen Fingers ließ er Jona den eigenen Finger mit den Fingerspitzen der anderen Hand abtasten. »Spürst du die Lücke – den kleinen Spalt, wo Knochen auf Knochen trifft? Hier sollte das zerquetschte Stück abgetrennt werden, aber du mußt die Haut ein gutes Stück über die Stelle hinaus unbeschädigt lassen. Weißt du, warum?«
»Wir müssen daraus eine Lasche machen«, sagte Jona, und der Ältere nickte zufrieden.
Auch wenn Jona Nuños Schicksal tief bedauerte, war es für seine Ausbildung doch von Vorteil, denn im letzten Jahr seiner Lehrzeit operierte er viel häufiger, als er es sonst hätte tun können.
Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil Fierro seine ganze Kraft für seine Ausbildung aufwendete, aber als er mit Reyna darüber sprach, schüttelte sie nur den Kopf. »Ich glaube, daß der Wunsch, deine Ausbildung abzuschließen, ihn am Leben erhält«, erklärte sie.
Als das vierte Jahr von Jonas Ausbildung sich dem Ende zuneigte, zeigte sich ein triumphierendes Funkeln in Nuño Fierros Augen. Unverzüglich machte er sich daran, Jona vor die ärztlichen Prüfer des Bezirks zu bringen. Jedes Jahr, drei Tage vor Weihnachten, ernannten die städtischen Beamten zwei
Weitere Kostenlose Bücher